Nachruf auf Prof. Dr. Christoph Leinert (1940 – 2025)
Am 3. März 2025 verstarb unser hochgeachteter Kollege Prof. Dr. Christoph Leinert im Alter von 84 Jahren in Heidelberg. Christoph Leinert war nicht nur ein international anerkannter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Erforschung junger Sterne, sondern auch ein Kollege, der mit seiner ruhigen und besonnenen Art das Max-Planck-Institut für Astronomie über viele Jahre geprägt hat.

Christoph Leinert wuchs in einem kleinen Ort im Südschwarzwald auf und begeisterte sich schon frühzeitig für die Astronomie. Als Jugendlicher besaß er sein eigenes Fernrohr und erforschte damit den Sternenhimmel. Folgerichtig studierte er in Basel, Freiburg und Heidelberg Physik und Astronomie und bestand im Frühjahr 1966 sehr erfolgreich das Diplomexamen als Physiker an der Universität Heidelberg. Er begann danach seine wissenschaftliche Tätigkeit zunächst an der Landessternwarte Heidelberg, um im Jahr 1972 an das Max-Planck-Institut für Astronomie zu wechseln, dem er für viele Jahre – auch nach seiner Pensionierung – verbunden blieb. Im Jahr 1978 habilitierte er sich und war der Universität als engagierter Privatdozent verbunden.
Christoph Leinert promovierte unter seinem Mentor Hans Elsässer im Jahr 1968 über die Vorbereitung eines Experiments zur Messung des Zodiakallichts. Aus heutiger Sicht erscheint uns dieses Thema wenig zentral für die moderne Astrophysik. Jedoch gab es hier einen ganz besonderen Umstand: Im Jahr 1965 wurde in einem hochrangigen Regierungsabkommen der Bau der ersten gemeinsamen Raumsonden in Kooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA beschlossen. Es handelte sich um die Sonnensonden Helios 1 und Helios 2, die 1974 und 1976 gestartet wurden und der Sonne bis auf 0,29 Astronomische Einheiten nahekamen. Dies ergab eine einmalige Chance für Christoph Leinert, denn das MPIA wurde mit dem Experiment zur Messung des Zodiakallichts betraut. Hier trat auch bereits eine besondere Stärke des wissenschaftlichen Arbeitens von Herrn Leinert zu Tage: Es war ein sehr genaues Arbeiten zur umfassenden Kalibration des Experiments notwendig, um die Streubeiträge von Erde und Sonne umfassend zu behandeln. Bereits im Jahr 1981 wurden die Daten zum Zodiakallicht basierend auf den Helios-Messungen unter Leitung von Christoph Leinert publiziert. Sie sind heute viel zitiert und bildeten die Grundlage für ein Standard-Modell des Zodiakallichts.
Anfang der 1980er Jahre verschob sich das wissenschaftliche Interesse von Christoph Leinert in Richtung junger Sterne. Neue hochauflösende Techniken wie die Speckle-Interferometrie und später die Adaptive Optik zeigten, dass junge Sterne bevorzugt in Doppelsternsystemen oder Mehrfachsystemen vorkommen. So stellte sich heraus, dass T Tauri als Namensgeber einer ganzen Klasse junger Sterne selbst ein Dreifachsystem ist. Unter der Leitung von Christoph Leinert entstand ein transportables Speckle-Interferometer für das 3,6 m-Teleskop auf dem Calar Alto und das 2,2 m-ESO/MPG-Teleskop auf La Silla in Chile. Hinzu kam als weitere Technik die der Sternbedeckungen durch den Mond. Im Jahr 1993 erschien eine viel beachtete Arbeit zu jungen Doppelsternen im Taurus-Sternentstehungsgebiet, die bis heute als Standardpublikation für diese Untersuchungen gilt. Die Untersuchungen zu Doppelsternen führten zu engen und freundschaftlichen kollegialen Bindungen, so zu Andrea Richichi, Michael Simon und Hans Zinnecker. Eine gewisse Krönung erlebte dieses Feld mit dem von Hans Zinnecker im Jahr 2000 in Potsdam organisierten IAU-Symposium 200 zum Thema „The Formation of Binary Stars“.
Christoph Leinert begann sich aber sehr bald auch für die Umgebung dieser Sterne zu interessieren. Für junge Sterne mittlerer Masse – die Herbig Ae/Be-Sterne – gab es zunächst die Diskussion, ob die Staubemission dieser Objekte von Halos oder Staubscheiben herrührt. In einer ersten gemeinsamen Arbeit aus dem Jahr 1998 konnten wir zeigen, dass Herbig Ae/Be-Sterne von Scheiben umgeben sind. Mit diesem Thema haben wir uns am MPIA auch viele weitere Jahre beschäftigt, was eine enge Zusammenarbeit mit Rens Waters in den Niederlanden begründete, die bis heute viele Früchte trägt. Mit dem Infrared Space Observatory (ISO) kam dann auch eine weitere Zusammenarbeit mit der Gruppe um Peter Abraham am Konkoly-Observatorium in Budapest hinzu.
Der Höhepunkt der wissenschaftlichen Arbeiten von Christoph Leinert war ohne Frage die Entwicklung eines ersten interferometrischen Instruments für Wellenlängen des mittleren Infraroten für das Very Large Telescope Interferometer (VLTI) am Paranal-Observatorium der ESO. Die vier 8,2-m-Teleskope waren immer mit der Idee gebaut worden, sie zu einem Interferometer zusammenzuschließen, um in neue Dimensionen bei der räumlichen Auflösung von Objekten vorzudringen. So entstand mit MIDI unter Leitung von Christoph Leinert und in enger Zusammenarbeit mit Uwe Graser und mit Beiträgen von anderen deutschen, französischen und niederländischen Instituten ein sehr zuverlässiges Instrument für das VLTI. Die zirkumstellare Umgebung von Herbig Ae/Be-Sternen konnte erstmals im mittleren Infraroten aufgelöst werden und beim jungen Stern TW Hydrae konnte eine innere Staublücke direkt nachgewiesen werden. Erstmals gelang in Zusammenarbeit mit Klaus Meisenheimer und Walter Jaffe die Charakterisierung der beiden extraterrestrischen Objekte NGC 1068 und Circinus mit hoher räumlicher Auflösung im mittleren Infraroten. Die wissenschaftlichen Erfolge dieses Instruments haben zum Bau eines Nachfolgers, des MATISSE-Instruments, geführt, welches unter Leitung von Bruno Lopez entstanden ist und an dem das MPIA ganz maßgeblich beteiligt ist. Beim Bau von MIDI und der wissenschaftlichen Auswertung der Daten ging es immer sehr freundlich und kollegial zu, ohne das Ziel eines erfolgreichen Instruments und der Publikation der Daten aus dem Auge zu verlieren.
Christoph Leinert war nach der Emeritierung von Hans Elsässer als Gründungsdirektors des MPIA zunächst als Wissenschaftler in der Abteilung Beckwith und später in der von mir geleiteten Abteilung „Planeten- und Sternentstehung“ ganz wesentlich an unserem wissenschaftlichen Erfolg und der Begründung des internationalen Ansehens des MPIA auf dem Gebiet der Sternentstehung beteiligt. Seine bescheidene und ausgeglichene Art wurde von allen Kolleginnen und Kollegen besonders geschätzt. Ich selbst konnte mir oft Rat bei ihm holen. Christoph Leinert war von ganzem Herzen Wissenschaftler – so traf ich ihn an einem Sonntagmorgen lange nach seiner Pensionierung am Institut und er sagte mir auf meine Nachfrage, was er denn zu dieser Zeit am Institut mache, dass er doch noch schnell etwas in einer Tabelle nachsehen müsse.
Unser Institut wird Herrn Leinert stets ein ehrendes Gedenken bewahren. Unsere Gedanken sind bei seiner Frau Swantje Leinert und seiner ganzen Familie.
Thomas Henning im März 2025