Detailreiche Bilder eines planetaren Embryos zeigen Turboversion der Planetenentstehung
Beobachtungen mit dem Radioteleskop VLA in New Mexico zeigen die inneren Partien der Planeten-Geburtsstätte rund um den jungen Stern HL Tauri so detailreich wie nie zuvor. Deutlich sichtbar ist dabei ein riesiger Staubklumpen mit dem drei- bis achtfachen der Erdmasse, der ideale Bedingungen für die Entstehung eines Planeten bietet. Die Masse des neuen Planeten dürfte zwischen jener der Erde und jener des Neptun liegen. Das Vorhandensein des Klumpens zeigt eine Lösung für ein grundlegendes Problem der Planetenentstehung auf: wie Planeten innerhalb der relativ kurzen Zeit entstehen können, die für ihr Wachstum zur Verfügung steht.
Ausführliche Informationen zur Meldung "Detailreiche Bilder eines planetaren Embryos zeigen Turboversion der Planetenentstehung"
Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) benutzt eine Technik namens Interferometrie, um Daten von 66 hochpräzisen Radioantennen genau so zu kombinieren, dass in dem entstehenden Bild Details sichtbar werden, wie sie nur ein kilometergroßes einzelnes Radioteleskop liefern könnte. Als ALMA 2014 fertiggestellt wurde, begannen die Astronomen, das Observatorium in seiner detailschärfsten Konfiguration zu testen; dabei sind die ALMA-Teleskope über eine Fläche mit Durchmesser 16 Kilometer verteilt. Eines der Testobjekte, das sie sich ausgeguckt hatten, war die protoplanetare Scheibe rund um den jungen Stern HL Tauri.
Eine helle Staubscheibe
Die Scheibe rund um HL Tauri wird von Astronomen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt untersucht. Im Wellenlängenbereich der Millimeterwellen ist sie eine der hellsten bekannten Staubscheiben und damit ein vielversprechendes Ziel, um das Auflösungsvermögen von ALMA zu testen. Bei solchen Millimeterwellen empfangen die Astronomen die Wärmestrahlung von Staubpartikeln in der Wolke, deren Größen zwischen Bruchteilen eines Mikrometers und mehreren Millimetern liegen.
HL Tauri ist ein sehr junger Stern vom Typ der sogenannten T Tauri-Sterne. Er ist nur zwischen rund einer und zwei Millionen Jahre alt und, wie bei derart jungen Sternen üblich, noch weitgehend innerhalb einer ausgedehnten Hülle von Gas verborgen. Von der Erde aus gesehen befindet sich der Stern im Sternbild Stier (lat. Taurus). Er ist fast 460 Lichtjahre von uns entfernt.
Das ALMA-Bild der Scheibe um HL Tauri übertraf die kühnsten Erwartungen der Astronomen. Noch nie zuvor hatte es eine derart detailreiche Abbildung einer Scheibe gegeben, und entsprechend enthusiastisch waren die Reaktionen in der astronomischen Community. Die kleinsten erkennbaren Strukturen in diesem Bild sind nur rund 3,5 bis 10 astronomische Einheiten groß (wobei eine astronomische Einheit dem mittleren Abstand Erde-Sonne entspricht).
Frühreife Planeten?
Die Strukturen der Scheibe sind nicht nur vom Detailreichtum her beeindruckend, sondern das Vorhandensein der deutlich erkennbaren Ringe stellt durchaus eine Überraschung dar. Die einfachste Interpretation dieser Ringe, die durch klar erkennbare Lücken voneinander abgegrenzt sind, läuft auf das Vorhandensein von fertig entwickelten Planeten heraus. Diese Planeten sind in der Scheibe entstanden, befinden sich jetzt auf Umlaufbahnen innerhalb der Restscheibe und haben Gas und Staub entlang ihrer Bahnen weitgehend aufgesammelt, so dass die markanten Lücken entstanden sind. Ein analoges Phänomen in unserem eigenen Sonnensystem sind Unterteilungen der Saturnringe, die durch die Anwesenheit sogenannter Schäferhundmonde entstanden sind.
Das Vorhandensein fertig entwickelter Planeten wäre allerdings nur schwerlich mit den heutigen Modellen der Planetenentstehung vereinbar. HL Tauri ist ein vergleichsweise junger Stern. Im Alter von ein bis zwei Millionen Jahren sollten Sterne zwar kleinere Planeten im innersten Bereich ihrer protoplanetaren Scheibe gebildet haben können. Dafür, dass sich auch bei größeren Abständen zwischen 10 und 100 astronomischen Einheiten (10-100 mal dem Abstand Erde-Sonne) Planeten gebildet haben könnten, sollte die Zeit allerdings nicht gereicht haben. Aber in diesem Abstandsbereich befinden sich die beobachteten Lücken zwischen den Ringen.
Beobachtungen mit dem VLA
Die ALMA-Ergebnisse zogen eine Reihe von Folgebeobachtungen nach sich - inklusive ergebnisloser Suchen nach den Planeten, die man in den Lücken der Scheibe vermutete. Jetzt hat eine Beobachtungskampagne mit dem Karl G. Jansky Very Large Array (VLA) in New Mexico dem Bild von HL Tauri ein entscheidendes Puzzlestück hinzugefügt.
Durchgeführt und ausgewertet wurden die Beobachtungen durch eine Forschergruppe, zu der Astronomen des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA), der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM), des National Radio Astronomy Observatory (NRAO) der USA als Betreiberin des VLA sowie des spanischen Spanish Consejo Superior de Investigaciones Científicas (CSIC) gehören. Die leitenden Wissenschaftler sind Carlos Carrasco González (UNAM) und Thomas Henning (MPIA).
Das VLA ist ein großes Radio-Interferometer, dessen insgesamt 27 Antennen, angeordnet entlang der Arme einer gigantischen Y-Form, bei längeren Wellenlängen messen als die von ALMA. Die HL Tauri-Beobachtungen fanden an 10 verschiedenen Terminen zwischen Dezember 2014 und September 2015 statt. Sie nutzten die größte Anordnung der Antennen, bei der die äußersten Antennen bis zu knapp 40 Kilometer voneinander entfernt sind. Insgesamt wurden auf diese Weise 45 Stunden lang Messdaten aufgenommen. Dies geschah bei Wellenlängen um 7 Millimetern (Q-Band, 39-47 GHz, und damit bei deutlich längeren Wellenlängen als den 0,87, 1,3 und 2,9 Millimetern der ALMA-Beobachtungen).
Es handelt sich um die bislang empfindlichsten und detailreichsten Beobachtungen der Scheibe von HL Tauri bei diesen Wellenlängen. Empfangen wird, wie im Falle der ALMA-Beobachtungen, auch hier die von den Staubteilchen in der Scheibe ausgesandte Strahlung.
Ein klares Bild der innersten Scheibenregionen
Die neuen VLA-Bilder zeichnen das bislang klarste Bild der inneren Regionen der Scheibe um den jungen Stern. Diese Regionen sind interessant, weil sie die potenziellen Geburtsstätten für Planeten ähnlich denen unseres Sonnensystems sind - Planeten ähnlich der Erde, dem Neptun oder sogar dem Jupiter.
Der Umstand, dass die neuen Beobachtungen bei längeren Radiowellenlängen stattfanden, sorgte auch dafür, dass die Forscher nicht nur die Oberfläche der Staubscheibe sehen, sondern auch Licht aus allen tieferen Regionen empfangen konnten. (Im Sprachgebrauch der Physiker ist die Staubscheibe bei den kürzeren ALMA-Wellenlängen "optisch dick", bei den längeren Wellenlängen der VLA-Beobachtungen "optisch dünn".) Damit ließ sich aus den Beobachtungen auch die Gesamtmenge des dort vorhandenen Staubs abschätzen.
Die Beobachtungen erlauben es außerdem, die Größen der im Beobachtungsgebiet vorhandenen Staubkörner abzuschätzen. Demnach sind die Körner in den innersten Scheibengebieten größer als die weiter außen befindlichen Körner. Das entspricht dem, was man anhand von Untersuchungen an anderen, weiter entwickelten Scheiben erwartet hätte. Die größten der Körner scheinen Durchmesser von fast einem Zentimeter zu besitzen. Damit sind diese "Kiesel" genau so groß, dass sie sich in bestimmten Bereichen der Gasströmung sammeln und dort zu größeren Objekten wachsen können, die sich letztlich zu Planeten zusammenschließen.
Der planetare Embryo
Die neuen Beobachtungen legen nahe, dass die HL Tauri-Scheibe nicht überraschend weit entwickelt ist und bereits massereiche Planeten gebildet hat, sondern dass sie sich im Gegenteil in einem der frühesten Stadien der Planetenentstehung befindet. Damit müssten die markanten Ringe, die in dem ALMA-Bild sichtbar sind, eine alternative Erklärung haben - sie könnten beispielsweise durch dynamische Instabilitäten in der Scheibe zustandegekommen sein, also dadurch, dass bestimmte Strömungsmuster in solch einer Scheibe zu einer ungleichmäßigen Materieverteilung führen.
Am spannendsten ist dabei die Möglichkeit, dass die Ringe und ihre Unterstukturen nicht eine Folge, sondern ein wichtiger Teil des Prozesses der Planetenentstehung sein könnten. Die neuen Bilder zeigen, dass die Ringe in der innersten Scheibenregion alles andere als glatt sind. Insbesondere ist dort ein heller Fleck sichtbar, der durch eine dichte Konzentration von Staub hervorgerufen scheint, mit einer Gesamtmasse zwischen 3 und 8 Erdmassen.
Die Staubkörner in diesem Klumpen scheinen etwas größer zu sein als im Rest der Scheibe, und es scheint, als könnte dies die erste direkte Abbildung eines der frühesten Stadien der Planetenentstehung sein. Der Klumpen wäre damit so etwas wie ein planetarischer Embryo, der bereits in diesem frühen Stadium genügend Masse enthält, um einen Planeten wie unsere Erde oder sogar wie den Neptun hervorzubringen.
Planetenentstehung in der Scheibe
Das allgemeine Szenario für die Planetenentstehung ist seit Jahrzehnten dasselbe (und einige Aspekte gehen noch deutlich weiter zurück): Ein junger Stern ist von einer protoplanetaren Scheibe aus Gas und Staub umgeben. Darin befindliche kleine Staubkörnchen verklumpen mit der Zeit zu immer größeren Gebilden, bis schließlich Objekte entstanden sind, die massereich sind, um sich auch über ihre Gravitationsanziehung zu Planetenvorläufern (Planetesimalen) und schließlich zu Planeten zusammenzufinden.
Schon länger ist bekannt, dass dieses Szenario ein Problem mit den verfügbaren Zeiträumen hat. Im Laufe von rund zehn Millionen Jahren gelingt es der intensiven Strahlung des jungen Sterns, die Gas- und Staubteilchen der protoplanetaren Scheibe zu zerstreuen; übrig bleiben nur die größeren Gebilde, die bis dahin bereits entstanden sind.
Doch zumindest wenn man mit einer homogenen Scheibe beginnt, sind Kollisionen zwischen den kleinen Ausgangsobjekten zu wenig häufig und zu wenig effektiv, als dass die Größe dieser Objekte rasch genug wachsen könnte. Außerdem führen sie zu häufig zu Fragmentierung als dazu, dass größere Verbundobjekte entstehen. Unter solchen Bedingungen ist es unmöglich, dass sich Planeten und insbesondere große Gasplaneten hinreichend schnell bilden. Noch bevor die Planeten hinreichend groß geworden wären hätte der Stern Gas und Staub der Scheibe zerstreut und das weitere Wachstum damit vorzeitig gestoppt.
Die Rolle großräumiger Scheibenstrukturen
Vor rund 10 Jahren konnten Wissenschaftler der Theoriegruppe Stern- und Planetenentstehung am Max-Planck-Institut für Astronomie zeigen, dass der Planetenentstehungsprozess insgesamt deutlich beschleunigt werden kann, wenn der Staub nicht gleichmäßig und homogen in der ganzen Scheibe verteilt ist sondern an einigen Orten deutlich höhere Konzentrationen aufweist. Solche Konzentrationen können sich aus Strömungsmustern des Gases der Scheibe ergeben, etwa aus gigantischen Wirbeln oder sogenannten Zonenströmungen - Strömungsmustern, die spontan in rotierenden Fluidsystemen entstehen; in der Erdatmosphäre beispielsweise der Jetstream oder die Zyklone und Antizyklone.
Eine gute Analogie dafür, was mit dem Staub passiert, ist ein langsam strömender Fluss, auf dessen Oberfläche Zweige, Blätter und andere Kleinteile treiben. Je nach Strömungsmuster sammelt sich das Treibgut in bestimmten Oberflächenregionen, etwa an Wasserwirbeln. Die Sammelstellen sind auf der Oberfläche klar sichtbar. Analog dazu sammeln sich Staub und Kiesel vermehrt in bestimmten Strömungsmustern des umgebenden Gases. So wird die Staubkonzentration in bestimmten eng begrenzten Bereichen deutlich erhöht.
Ein Szenario, in dem das Vorhandensein solcher Strömungsmuster die Planeten-Entstehungsprozesse beschleunigt, würde in etwa so aussehen: Instabilitäten aufgrund von Magnetfeldern oder von Temperaturgefällen innerhalb der protoplanetaren Scheibe führen zur Ausbildung großräumiger Strukturen wie den beobachteten Ringen und Lücken. Dichte und massereiche Ringe, die zahlreiche Kiesel enthalten, könnten fragmentieren und dabei dichtere Klumpen hervorbringen. Diese wiederum würden dann unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren, noch weitere Masse auf sich ziehen und am Ende Planeten hervorbringen.
Die neuen Beobachtungen liefern einen Schnappschuss genau solcher Vorgänge: Die Massenmessungen zeigen, dass die inneren Ringe, die im ALMA-Bild sichtbar sind, in der Tat hinreichend dicht und massereich sind, wie es das Szenario erfordert. Der deutlich sichtbare Klumpen in den neuen VLA-Bildern ist das erste Bild von Fragmentierung innerhalb eines Rings einer protoplanetaren Scheibe. Erstmals sehen Astronomen diese schnelle Form der Planetenentstehung direkt in Aktion.
Das für die Planetenentstehung nötige Rohmaterial befindet sich in der Scheibe. Die VLA-Beobachtungen zeigen, dass die innere Scheibenregion Staub mit einer Gesamtmasse zwischen 10 und 50 Erdmassen enthält. Kombiniert man diese Aussage mit den ALMA-Daten, dann kommt man für die Gesamtmasse des Staubes in der HL Tauri-Scheibe auf zwischen 300 und 900 Erdmassen (zwischen einer und drei Jupitermassen, oder zwischen einem oder drei Tausendstel Sonnenmassen). Zum Vergleich: Im heutigen Sonnensystem findet man nur rund 60 Erdmassen an festem Material, vor allem in Form der erdähnlichen Planeten und der festen Kerne der Gasplaneten. Entsprechende Rechnungen zeigen, dass die protoplanetare Scheibe unseres Sonnensystems rund 180 Erdmassen an Feststoffen enthalten haben dürfte, damit sich die Festkörper darin hinreichend schnell bilden konnten, bevor die protoplanetare Scheibe zerstreut wurde. Solche Abschätzungen sind aber derzeit noch recht unsicher, da wir nicht wissen, wie effizient Feststoffe wie Staub bei der Planetenentstehung in fertige Planeten umgesetzt werden.
Nächste Schritte mit ALMA und dem VLA
Als nächsten Schritt werden die Forscher sowohl die ALMA-Daten als auch die neuen VLA-Beobachtungen nutzen, um ein detailliertes Modell der Scheibe zu erstellen. Dafür werden nicht nur das Dichteprofil von Gas und Staub sowie die beobachteten Strukturen modelliert, sondern es wird auch simuliert, wie das Licht des Zentralsterns in den verschiedenen Regionen der Scheibe absorbiert und wieder emittiert wird, und wie sich unter dem Einfluss der Strahlung in unterschiedlichen Scheibenregionen unterschiedliche Temperaturen einstellen (Strahlungstransportrechnungen).
Genauere Kenntnisse über die Verteilung des Gases geben dann wiederum Anhaltspunkte dafür, welcher der verschiedenen infrage kommenden Mechanismen den inneren Ring erzeugt und zu seiner Fragmentierung geführt haben dürfte. Ebenso werden dann Abschätzungen möglich, wie lange der Klumpen noch brauchen dürfte, um sich zu einem oder mehreren festen Körpern zusammenzuziehen - zu einer Wolke von Planetesimalen oder sogar zu einem fertigen Planeten.
Besonders interessant versprechen derzeit in Planung befindliche Beobachtungen zu werden, die zeigen können sollten, ob der helle Klumpen derzeit Gas und Materie aus seiner Umgebung auf sich zieht (Akkretion) oder nicht. Daran entscheidet sich, ob es sich tatsächlich um ein Vorläuferobjekt handelt, das sich im Laufe der Zeit zu einem Planeten auswächst. Solche Beobachtungen nutzen die Strahlung bestimmter Moleküle um nachzuweisen, dass in der betreffenden Region Energie in der Weise freigesetzt wird wie man es erwartet, wenn Gas auf einen Protoplaneten fällt. Die Form der Spektrallinien liefert weitere Hinweise darauf, dass sich die betreffende Materie tatsächlich im Fall auf eine Zentralmasse befindet. Aus der Akkretionsrate sollte es sogar möglich sein, die Masse des in Entstehung befindlichen Planeten abzuschätzen.