Das JWST blickt in die Geburtsstätten von Exoplaneten
Astronomen sind begeistert von den ersten JWST-Spektren von planetenbildenden Scheiben, die eine vielseitige Chemie aufweisen
Mit dem Weltraumteleskop James Webb (JWST) haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen ersten Blick auf ihre Daten geworfen, die die Chemie in den Regionen der Scheiben um junge Sterne untersuchen, in denen sich Gesteinsplaneten bilden. Bereits in diesem Stadium zeigen die Daten, dass die Scheiben chemisch vielfältig und reich an Molekülen wie Wasser, Kohlendioxid und organischen Kohlenwasserstoffverbindungen wie Benzol sowie an winzigen Kohlenstoffkörnern und Silikaten sind. Das laufende, vom MPIA geleitete JWST-Beobachtungsprogramm MINDS, an dem mehrere europäische Forschungsinstitute beteiligt sind, verspricht einen revolutionären Blick auf die Bedingungen, die der Geburt von Planeten vorausgehen und gleichzeitig deren Zusammensetzung bestimmen.
Neue Beobachtungen einer Auswahl von planetenbildenden Scheiben um junge Sterne, die mit dem Mid-Infrared Instrument (MIRI) an Bord des James Webb Weltraumteleskops (JWST) gewonnen wurden, vermitteln einen ersten Eindruck, wie dieses leistungsstarke Instrument unser Verständnis der Entstehung von erdähnlichen Planeten verbessern wird. Astronomen und Astronominnen aus 11 europäischen Ländern haben sich im Projekt MINDS (MIRI mid-Infrared Disk Survey) zusammengeschlossen, um die Bedingungen in den inneren Bereichen solcher Scheiben zu untersuchen. Dort bilden sich voraussichtlich Gesteinsplaneten aus dem Gas und dem Staub, aus denen diese Scheiben sich zusammensetzen. Die Forschenden unternehmen den nächsten Schritt zur Entschlüsselung der Bedingungen in planetenbildenden Scheiben – eine Voraussetzung für die Identifizierung der Prozesse, die zu festen Himmelskörpern wie Planeten und Kometen führen, aus denen Planetensysteme bestehen.
Die ersten Ergebnisse, die in zwei Artikeln vorgestellt werden, zeigen die Vielfalt der Wiegen von Gesteinsplaneten. Die Scheiben reichen von Umgebungen, die reich an kohlenstoffhaltigen Verbindungen sind, darunter so komplexe organische Moleküle wie Benzol, bis hin zu Agglomeraten, die Kohlendioxid und Spuren von Wasser enthalten. Wie Fingerabdrücke erzeugen diese Chemikalien eindeutig identifizierbare Merkmale in den Spektren, die die Astronomen mit ihren Beobachtungen gewonnen haben. Ein Spektrum ist eine regenbogenartige Darstellung von Licht oder, wie in diesem Fall, z.B. von Infrarotstrahlung, die es in die einzelnen Farbanteile aufspaltet.
„Wir sind beeindruckt von der Qualität der Daten, die MIRI produziert hat“, sagt Thomas Henning, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg, Deutschland. Er ist der leitende Forscher (PI) des JWST Guaranteed Time Observation (GTO) Programms MINDS. „Dieser Reichtum an Spektrallinien gibt nicht nur Aufschluss über die chemische Zusammensetzung des Scheibenmaterials, aus dem sich schließlich Planeten und deren Atmosphären entwickeln. Sie erlaubt uns auch, die physikalischen Bedingungen wie Dichte und Temperatur in diesen planetenbildenden Scheiben zu bestimmen, und zwar direkt dort, wo die Planeten entstehen.“
Eine trockene protoplanetare Scheibe mit zwei Arten von Kohlendioxid
„Wir können jetzt die chemischen Komponenten in diesen Scheiben viel genauer untersuchen“, sagt Sierra Grant, Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching, Deutschland. Sie ist die Hauptautorin eines Artikels, in dem sie eine Scheibe um einen jungen massearmen Stern untersucht. „Die warme innere Scheibe um GW Lup scheint ziemlich trocken zu sein. Wir haben zwar eindeutig Kohlendioxid, Cyanidgas und Ethin nachgewiesen, aber viel weniger Wasser als erwartet“, erklärt Grant.
Eine Lücke um den Zentralstern, die kein Gas enthält, würde das Fehlen von Wasser erklären. „Sollte sich dieses Loch bis zwischen die Schneegrenzen von Wasser und Kohlendioxid erstrecken, würde dies den geringen Wasserdampfgehalt erklären“, sagt Grant. Die Schneelinien kennzeichnen ringförmige Zonen in unterschiedlicher Entfernung vom Stern, in denen die Temperaturen auf Werte fallen, bei denen bestimmte chemische Substanzen ausfrieren. Die Wasserschneelinie liegt näher am Stern als die für Kohlendioxid.
Wenn sich also eine Lücke über die Wasserschneelinie hinaus erstreckt, würde das Gas außerhalb dieses Bereichs noch Kohlendioxid, aber nur wenig Wasser enthalten. Jeder Planet, der sich dort bildet, wäre zunächst ziemlich trocken. Daher könnten kleine eisige Objekte wie Kometen aus dem äußeren Planetensystem die einzige nennenswerte Quelle für Wasser sein. Wäre hingegen ein Planet, der mit der Scheibe interagiert, für eine solche Lücke verantwortlich, würde dies darauf hindeuten, dass der Planet während seiner Entstehung Wasser angesammelt hat.
Das Team entdeckte auch zum ersten Mal eine viel seltenere Version des Kohlendioxidmoleküls in einer protoplanetaren Scheibe, die ein Kohlenstoffatom enthält, das etwas schwerer ist als die viel häufigere Version. Im Gegensatz zum „normalen“ Kohlendioxid, das lediglich die wärmere Scheibenoberfläche erfasst, kann die Strahlung des schwereren Geschwisters aus tieferen und kühleren Schichten der Scheibe entweichen. Die Auswertung ergibt Temperaturen von etwa 200 Kelvin (-75 Grad Celsius) in der Nähe der Scheibenmitte bis zu etwa 500 Kelvin (+225 Grad Celsius) an ihrer Oberfläche.
Reiche Kohlenstoffchemie in einer Scheibe um einen sehr massearmen Stern
Leben scheint Kohlenstoff zu benötigen, um komplexe Verbindungen zu bilden. Während einfache kohlenstoffhaltige Moleküle wie Kohlenmonoxid (CO) und Kohlendioxid (CO2) die meisten planetenbildenden Scheiben durchdringen, ist die reichhaltige Kohlenwasserstoffchemie der folgenden Scheibe recht ungewöhnlich.
„Das Spektrum der Scheibe um den massearmen Stern J160532 zeigt das Vorkommen von warmem Wasserstoffgas und Wasserstoff-Kohlenstoff-Verbindungen bei Temperaturen um 230 Grad Celsius“, sagt Benoît Tabone, CNRS-Forscher am Institut d’Astrophysique Spatiale, Universität Paris-Saclay, Frankreich und Hauptautor einer weiteren Studie des MINDS-Konsortiums. Das stärkste spektrale Signal stammt von heißem Ethingas (auch bekannt als Acetylen), dessen Moleküle jeweils aus zwei Kohlenstoff- und zwei Wasserstoffatomen zusammengesetzt ist.
Weitere ebenso warme Gase organischer Moleküle sind Diacetylen (Butadiin) und Benzol, die beide zum ersten Mal in einer protoplanetaren Scheibe nachgewiesen wurden, und wahrscheinlich auch Methan. Dieser Befund deutet darauf hin, dass diese Scheibe mehr Kohlenstoff als Sauerstoff enthält. Eine solche Mischung in der chemischen Zusammensetzung könnte auch die Atmosphären von Planeten beeinflussen, die sich dort bilden. Im Gegensatz dazu scheint Wasser fast nicht vorhanden zu sein. Stattdessen könnte das meiste Wasser in den eisigen Felsbrocken der kälteren äußeren Scheibe eingeschlossen sein, wo es mit diesen Beobachtungen nicht nachweisbar ist.
Ausbrüche junger Sterne erzeugen die Saat für Planeten
Neben Gas ist auch festes Material ein typischer Bestandteil protoplanetarer Scheiben. Ein Großteil davon besteht aus Silikatkörnern, im Grunde feiner Sand. Sie wachsen von Nanopartikeln zu zufällig strukturierten, mikrometergroßen Gebilden heran. Wenn sie erhitzt werden, können sie Kristalle bilden. Eine Arbeit, die von einem Team unter der Leitung von Ágnes Kóspál (MPIA und Konkoly-Observatorium, Budapest, Ungarn) veröffentlicht wurde und die nicht Teil des MINDS-Programms ist, zeigt, wie solche Kristalle in die Gesteinsbrocken gelangen können, aus denen schließlich Gesteinsplaneten entstehen. Wissenschaftler finden solche Kristalle auch in Kometen und der Erdkruste.
Das Team entdeckte Kristalle wieder, die vor Jahren in der Scheibe um den regelmäßig ausbrechenden Stern EX Lup entdeckt wurden, der sich gerade von einem kürzlichen Ausbruch erholte. Er lieferte die notwendige Wärme für den Kristallisationsprozess. Nach einer Zeit der Abwesenheit tauchten diese Kristalle nun wieder in ihren Spektren auf, wenn auch bei viel niedrigeren Temperaturen und damit in größerer Entfernung vom Stern. Das deutet darauf hin, dass wiederholte Ausbrüche für die Herstellung einiger Bausteine von Planetensystemen notwendig sein könnten.
Ein goldenes Zeitalter der astronomischen Forschung
Diese Ergebnisse zeigen, dass das JWST ein neues goldenes Zeitalter in der astronomischen Forschung einläutet. Bereits in diesem frühen Stadium sind die Ergebnisse bahnbrechend. „Wir freuen uns auf weitere Neuigkeiten vom JWST“, erklärt Henning. Insgesamt soll das MINDS-Programm die Scheiben von 50 jungen, massearmen Sternen ins Visier nehmen. „Wir sind sehr gespannt auf die Vielfalt, die wir finden werden.“
„Indem wir die zur Interpretation der Spektren verwendeten Modelle verfeinern, werden wir auch die vorliegenden Ergebnisse verbessern. Schließlich wollen wir die Möglichkeiten von JWST und MIRI voll ausschöpfen, um diese Geburtsstätten der Planeten zu untersuchen“, fügt Inga Kamp hinzu, eine MINDS-Mitarbeiterin und Wissenschaftlerin am Kapteyn Astronomical Institute der Universität Groningen in den Niederlanden.
Es ist besonders lohnend, die Entstehung von Planeten in der Umgebung von Sternen mit sehr geringer Masse zu erforschen, d. h. von Sternen, die etwa fünf bis zehn Mal weniger massereich sind als die Sonne. Gesteinsplaneten sind um diese Sterne überreichlich vorhanden, und viele potenziell lebensfreundliche Planeten wurden bereits entdeckt. Daher verspricht das MINDS-Programm, einige der wichtigsten Fragen über die Entstehung von erdähnlichen Planeten und vielleicht die Entstehung des Lebens zu klären.
Hintergrundinformationen
Das Weltraumteleskop James Webb (JWST) ist das größte und leistungsstärkste Teleskop, das jemals ins All befördert wurde. Es ist eine internationale Partnerschaft zwischen NASA, ESA und CSA.
Das Mid-InfraRed Instrument (MIRI) des JWST, das von einem europäischen Konsortium von Forschungseinrichtungen gebaut wurde, ist ein wissenschaftliches Mehrzweckinstrument für Infrarot-Wellenlängen zwischen 5 und 28 Mikrometern. Es kombiniert eine bildgebende Kamera mit einem Spektrografen. Mit der Unterstützung von industriellen Partnern lieferte das MPIA die Mechanismen aller Elemente zur Steuerung der Wellenlängenbereiche, wie z.B. Filter- und Gitterräder, und leitete das elektrische Design von MIRI.
Die an diesen Studien beteiligten MPIA-Forscher sind Th. Henning (PI), J. Bouwman, M. Güdel (auch ETH Zürich, Schweiz und Universität Wien, Österreich), Á. Kóspál (auch Konkoly Observatorium, Budapest, Ungarn), G. Perotti, M. Samland, S. Scheithauer, J. Schreiber, K. Schwarz
Das MINDS-Konsortium besteht aus den folgenden Forschungsinstituten:
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, Deutschland; Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching, Deutschland; Université Paris-Saclay, Orsay und Gif-sur-Yvette, Frankreich; Leiden Observatory, Niederlande; KU Leuven, Belgien; Rijksuniversiteit Groningen, Niederlande; Universität Wien, Österreich; ETH Zürich, Schweiz; Université de Liege, Belgien; Centro de Astrobilogía, CSIC-INTA, Villaneuva de la Cañada und Torrejón de Ardoz, Spanien; LESIA, Observatoire de Paris, Meudon, Frankreich; INAF, Napoli, Italien; Dublin Institute for Advanced Studies, Irland; UK Astronomy Technology Centre, Edinburgh, Großbritannien; Radboud University, Nijmegen, Niederlande; Space Research Institute, Graz, Österreich; SRON, Groningen und Leiden, Niederlande; Stockholm University Sweden; DTU Space, Lyngby, Dänemark; Onsala Space Observatory, Schweden; Amsterdam University, Niederlande