Numerische Simulationen reproduzieren Schlüsseleigenschaften von Asteroiden und Kometen
Mit Simulationen, die feinere Details modellieren als je zuvor, haben Forscher*innen eine Schlüsselphase bei der Entstehung von Planeten in unserem Sonnensystem modelliert: die Art und Weise, wie sich zentimetergroße "Pebbles" (wörtlich "Kiesel") zu so genannten Planetesimalen von zehn bis hundert Kilometern Größe zusammenballten. Die Simulation gibt die ursprüngliche Größenverteilung der Planetesimale, die anhand von Beobachtungen heutiger Asteroiden überprüft werden kann, richtig wieder. Sie trifft außerdem eine Vorhersage für die Häufigkeit von sich eng umkreisenden Planetesimalen-Paaren in unserem Sonnensystem.
In einer neuen Studie, die jetzt im Astrophysical Journal veröffentlicht worden ist, haben die Astrophysiker Brooke Polak (Universität Heidelberg und American Museum of Natural History, New York) und Hubert Klahr (Max-Planck-Institut für Astronomie) mit Hilfe von Simulationen wichtige Eigenschaften von so genannten Planetesimalen abgeleitet – jenen Körpern mittlerer Größe, aus denen sich vor rund 4,5 Milliarden Jahren in unserem Sonnensystem Planeten bildeten. Mit einer innovativen Methode zur Simulation des Entstehungsprozesses konnten Polak und Klahr die ursprüngliche Größenverteilung der Planetesimale in unserem Sonnensystem vorhersagen: wie viele davon sich in den verschiedenen "Größenklassen" zwischen etwa 10 km und 200 km gebildet haben dürften.
Mehrere Gruppen von Objekten im heutigen Sonnensystem, insbesondere die Asteroiden des Hauptgürtels und die Objekte des Kuipergürtels, sind direkte Nachkommen von Planetesimalen, die sich nicht zu Planeten weiterentwickelt haben. Für die Asteroiden des Hauptgürtels hatten Astronom*innen bereits vor einiger Zeit die ursprüngliche Größenverteilung rekonstruieren können. Das Ergebnis passt gut zu der Größenverteilung, die sich bei Polak und Klahr direkt aus der Simulation ergibt. Darüber hinaus macht ihr Modell erfolgreiche Vorhersagen für die Unterschiede zwischen Planetesimalen, die sich näher an der Sonne bilden, und solchen, die weiter entfernt sind, und es sagt auch voraus, wie viele von ihnen sich als Doppel-Planetesimale bilden, also als sich wechselseitig umkreisende Planetesimalen-Paare.
Vom Staub zu Planeten
Die Entstehung von Planeten um einen Stern verläuft in mehreren Phasen. In der ersten Phase verklumpen kosmische Staubteilchen in der wirbelnden protoplanetaren Scheibe um einen jungen Stern durch elektrostatische Kräfte (genauer: van-der-Waals-Kräfte) zu so genannten Pebbles (wörtlich "Kieselsteinchen") von einigen Zentimetern Größe. In der nächsten Phase schließen sich Pebbles zu Planetesimalen zusammen: felsigen Objekten mit einem Durchmesser von zehn bis hundert Kilometern.
Bei diesen größeren Objekten ist die Schwerkraft so stark, dass durch Kollisionen zwischen einzelnen Planetesimalen noch größere, durch die Schwerkraft gebundene, feste kosmische Objekte entstehen, sogenannte Planetenembryos. Diese Embryos können weitere Planetesimale und Pebbles auf sich ziehen, bis sie zu erdähnlichen Planeten wie unsere Erde werden. Einige können dicke Schichten von hauptsächlich Wasserstoffgas anlagern und werden zu Gasriesen wie Jupiter, oder zu Eisriesen wie Uranus.
Wenn aus Planetesimalen keine Planeten werden
Aber nicht alle Planetesimale werden zu Planeten. Während einer bestimmten Phase der Geschichte unseres Sonnensystems wanderte der gerade im Entstehen begriffene Planet Jupiter, heute der größte Planet unseres Sonnensystems, weiter nach innen auf eine sonnennähere Umlaufbahn. Diese Migration behinderte die Planetenbildung in seiner unmittelbaren Umgebung: Jupiters Schwerkraft verhinderte, dass sich in der Nähe befindliche Planetesimale zu Planetenembryonen entwickeln konnten.
Auch Uranus und Neptun haben ihren Sonnenabstand verändert, in diesem Falle hin zu sonnenferneren Umlaufbahnen. Ihre Migration ergab sich aus Wechselwirkungen mit weiter draußen befindlichen Planetesimalen. Dabei streuten Uranus und Neptun einige der weiter entfernten, eisigen Planetesimale in das innere Sonnensystem und andere hin zu noch größeren Sonnenabständen. Weit von der Sonne entfernt waren die typischen Abstände zwischen den Planetesimalen generell zu groß, als dass sich selbst die relativ kleinen erdähnlichen Planeten hätten bilden können – die einzigen Planetenembryonen, die dort entstanden, führten zu kleineren Objekte wie Pluto. Die meisten Planetesimale in dieser Entfernung erreichten das Stadium eines Planetenembryos überhaupt nicht.
Am Ende hatte unser Sonnensystem mehrere Regionen mit übriggebliebenen Planetesimalen und deren Nachkommen: Der Asteroiden-Hauptgürtel zwischen Mars und Jupiter enthält sowohl Planetesimale, die Jupiter von der Bildung von Embryonen abgehalten hat, sowie solche, die von Uranus und Neptun nach innen gestreut wurden. Die scheibenförmige Struktur des Kuipergürtels, zwischen 30 und 50 astronomischen Einheiten (=Erde-Sonne-Abständen) von der Sonne entfernt, enthält Planetesimale, die von Anfang an zu weit entfernt waren, um durch die Migrationen von Uranus und Neptun gestört zu werden, rund 70.000 von ihnen mit einer Größe von über 100 km. Von hier stammen die meisten Kometen mit Umlaufzeiten mittlerer Länge, die das innere Sonnensystem besuchen. Weiter draußen, in der so genannten Oortschen Wolke, befinden sich Objekte, die durch die Uranus-Neptun-Wanderung nach außen gestreut wurden.
Die Grenzen der Planetenentstehungs-Simulationen
Die Entwicklung von zentimetergroßen Pebbles zu Planetesimalen zu simulieren ist eine Herausforderung. Bis vor etwa einem Jahrzehnt war dabei noch nicht einmal klar, wie es überhaupt zu diesem Übergang kommen konnte – die damaligen Simulationen bekamen es nicht hin, dass die Pebbles größer als ungefähr einen Meter wurden. Dieses Problem wurde gelöst als man erkannte, dass turbulente Strömungen in der protoplanetaren Scheibe eine ausreichende Menge an Pebbles zusammenbringen, um größere Objekte entstehen zu lassen. Aber die unterschiedlichen Größenskalen, um die es insgesamt geht, stellen Simulationen der Planetenentstehung weiterhin vor Probleme.
Bei sogenannten Kontinuumssimulationen modelliert man die protoplanetare Scheibe, indem man den Raum in eine Art dreidimensionales Gitter aus separaten Regionen unterteilen – das dreidimensionale Analogon zur Unterteilung einer Ebene in ein Schachbrettmuster. Dann wendet man die Gleichungen der Hydrodynamik an um zu berechnen, wie Materie in jenem Gitter von Zelle zu Zelle strömt und wie sich die Materieeigenschaften dabei verändern. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, muss man jedoch insgesamt einen Ausschnitt der protoplanetaren Scheibe mit einem Durchmesser von Hunderttausenden von Kilometern simulieren. Es gibt einfach nicht genug Rechenleistung, um das "Schachbrettmuster" einer derart großen Struktur fein genug zu gestalten, dass sich damit gleichzeitig die kilometergroße Struktur der einzelnen Planetesimale simulieren lässt.
Eine Alternative sind Simulationen, bei denen Gruppen von Pebbles als separate "Superteilchen" modelliert werden, die zu einzelnen punktförmigen Objekten verschmelzen, sobald sie einander näherkommen als auf rund 1000 km. Aber diese Methode erfasst einen anderen wichtigen Aspekt der Planetesimalbildung nicht: enge Doppel-Planetesimale, bei denen sich zwei Planetesimale eng umkreisen oder sogar als Kontakt-Doppelplanetesimal aneinander andocken.
Das "Pebble-Gas" als Werkzeug
Die von Polak und Klahr durchgeführten Simulationen beruhen auf einem anderen Ansatz, entlehnt von einem auf den ersten Blick ganz anderen physikalischen Modell: der kinetischen Gastheorie, also der Beschreibung von Gasen als Ansammlung von unzähligen Molekülen, die mit hoher Geschwindigkeit umherfliegen und über ihre Zusammenstöße mit den Seiten eines Behälters kumulativ Druck auf die Behälterwände ausüben. Wo die Gastemperatur niedrig genug und der Druck hoch genug ist, kommt es zu einem sogenannten Phasenübergang: das Gas wird flüssig. Unter bestimmten Bedingungen kann ein Phasenübergang einen Stoff auch direkt vom gasförmigen in den festen Zustand überführen.
Die Simulation von Polak und Klahr behandelt Gruppen von Pebbles in einer kollabierenden Wolke in einer protoplanetaren Scheibe analog zu Teilchen eines Gases. Anstatt die Kollisionen zwischen den verschiedenen Pebble-Gruppen explizit zu modellieren, wiesen sie ihrem "Pebble-Gas" einen Druck zu. Für die so genannte Zustandsgleichung, die den Druck als Funktion der Dichte angibt, wählten sie eine so genannte adiabatische Zustandsgleichung – eine Gleichung, die für eine sphärisch-symmetrische Situation auf eine ähnliche Dichtestruktur wie im Inneren der Erde führt. Mit dieser Wahl kann das Pebble-Gas auch einen Phasenübergang durchlaufen: Bei geringer Dichte gibt es eine "Gasphase", in der einzelne Pebble herumfliegen und häufig zusammenstoßen. Ab einer gestimmten Dichte geht die Materie in eine "feste Phase" über, in der sich die Pebble zu festen Planetesimalen zusammengefunden haben. Das entscheidende Kriterium dafür, wann das Pebble-Gas fest wird, ist, ob die Gravitations-Anziehungskraft der Pebble größer ist als der durch die Kollisionen aufrecht erhaltene Druck.
Die Eigenschaften von Planetesimalen hängen vom Abstand zur Sonne ab
Eine frühere Arbeit in der Gruppe von Hubert Klahr hatten gezeigt, dass die Entstehung von Planeten immer mit einer kollabierenden, kompakten Wolke von Pebbles innerhalb der protoplanetaren Scheibe beginnt. Dieselbe Arbeit lieferte konkrete Werte für die Größe solcher separaten kollabierenden Regionen. In der jetzt veröffentlichten Arbeit betrachten Polak und Klahr mehrere Versionen einer solchen kollabierenden Region, jede mit einem anderen Abstand von der Sonne, beginnend mit einem Abstand so nah wie die Umlaufbahn des Merkurs und endend mit einer kollabierenden Region so weit entfernt von der Sonne wie Neptun.
Da ihre vereinfachten Gleichungen viel weniger komplex sind als die von Superteilchen-Kollisionsmodellen, konnten Polak und Klahr mit der verfügbaren Rechenleistung feinere Details simulieren als je zuvor – bis hinunter zu denjenigen Längen- und Abstandsskalen, auf denen sich Paare von Planetesimalen umkreisen bzw. sich bei besonders geringem Abstand sogar aneinanderlagern können. Frühere Simulationen, die nicht in der Lage waren, solche feinen Details zu beschreiben, mussten annehmen, dass zwei Planetesimale, die sich so nahe kommen, wie es für die Bildung eines engen Doppel-Planetesimale notwendig ist, schlicht zu einem einzigen, strukturlosen größeren Objekt verschmelzen, und konnten solche Doppel-Planetesimale also gar nicht erst erfassen.
Die Größenverteilung der Planetesimale vorhersagen
Die neuen Ergebnisse zeichnen ein interessantes Bild von der Planetesimalen-Entstehung als Ganzes. Als Schlüssel erweist sich die Entfernung von der Sonne: Eine kollabierende Region in unmittelbarer Nähe der Sonne wird nur ein einziges Planetesimal hervorbringen. Mit zunehmender Entfernung von der Sonne entstehen innerhalb einer einzigen kollabierenden Region zunehmend mehr Planetesimale gleichzeitig. Die größten Planetesimale, die durch eine kollabierende Pebble-Wolke in Erdnähe entstehen, sind dabei rund 30 % massereicher und 10 % größer als die, die zehnmal weiter entfernt entstehen. Insgesamt erweist sich die Produktion von Planetesimalen als sehr effizient: Mehr als 90 % der verfügbaren Pebbles enden in Planetesimalen, unabhängig vom Ort im Sonnensystem.
Natürlich ging auch bei den Asteroiden des Hauptgürtels das Leben in den letzten Milliarden Jahren weiter. Zahlreiche Kollisionen haben ursprünglich größere Planetesimale in kleinere Fragmente zerschlagen haben. Aber versuche, auf Basis der heutigen Beobachtungen die ursprüngliche Größenverteilung der Asteroiden zu rekonstruieren, kommen zu sehr ähnlichen Ergebnissen wie die neuen Simulationen.
Und es gab eine Überraschung: "Bisher ging man davon aus, dass die anfängliche Größenverteilung der Asteroiden die Massenverteilung der Pebble-Wolken widerspiegelt", sagt Brooke Polak. "Deshalb waren wir überrascht, dass unsere Simulationen, in denen die Pebble-Wolkn jeweils dieselbe Anfangsmasse hat, nach dem jeweiligen Kollaps die gleiche Massenverteilung der Asteroiden ergaben, wie sie auch aus den Beobachtungsdaten folgt. Dies verändert die Anforderungen an die Prozesse, die die Pebble-Wolken in der protoplanetaren Scheibe erzeugen, drastisch." Mit anderen Worten: Simulationen der frühesten Stadien unseres Sonnensystems müssen sich nicht darum kümmern, dass die Größe der Pebble-Wolken genau richtig ist – der Planetesimal-Entstehungsprozess selbst sorgt für die richtige Größenverteilung.
Doppel-Planetesimale und Monde
Die Detailtreue, welche die neuen Simulationen auszeichnet, hat außerdem neue Ergebnisse über Doppel-Planetesimale geliefert, bei denen sich Paare von Planetesimalen gegenseitig umkreisen. Bei der Hälfte jener Systeme ist der Abstand klein, konkret: beträgt weniger als das Vierfache des Durchmessers der Planetesimale selbst. Die Vorhersagen zu Häufigkeit und Eigenschaften der Doppel-Planetesimale, einschließlich des Vorkommens zusätzlicher kleiner "Monde", die sie umkreisen, stimmen gut mit den beobachteten Eigenschaften von Objekten des Kuipergürtels in den äußeren Bereichen des Sonnensystems und mit den Eigenschaften der Asteroiden des Hauptgürtels überein.
Eine der Vorhersagen ist, dass sich sehr früh enge Doppel-Planetesimale in großer Zahl bilden, nämlich bereits dann, wenn die Pebbles zu Planetesimalen verschmelzen – nicht erst bei späteren Beinahe-Kollisionen und anderen Wechselwirkungen. Die NASA-Raumfahrtmission Lucy, die 2021 gestartet wurde, verspricht eine interessante Möglichkeit, diese Vorhersage zu testen. "Nicht alle Planetesimale endeten im Asteroiden- oder Kuipergürtel. Einige bleiben in einer gemeinsamen Umlaufbahn mit Jupiter gefangen, das sind die sogenannten Trojaner", sagt Hubert Klahr. "Die Lucy-Mission wird in den nächsten Jahren mehrere von ihnen besuchen. Im März 2033 wird sie an den Asteroiden Patroclus und Menoetius vorbeifliegen. Beide sind jeweils 100 km groß und umkreisen einander in einem Abstand von nur 680 km. Unserer Vorhersage nach sollten die beiden die gleiche Farbe und das gleiche Aussehen haben, da wir davon ausgehen, dass sie aus ein und derselben Pebble-Wolke entstanden sind. Eineiige Zwillinge von Geburt an."
Nächste Schritte
Die derzeitige Version der Simulationen von Polak und Klahr untersucht die Bildung von Planetesimalen vom inneren Sonnensystem bis hinaus zur heutigen Umlaufbahn des Neptun. Als nächstes wollen die beiden ihre Untersuchungen bis zu noch größeren Entfernungen erweitern. Die derzeitigen Simulationen ergeben bereits Doppel-Objekte wie Arrokoth, das von der NASA-Sonde New Horizons im Jahr 2019 nach ihrem Besuch im Pluto-Charon-System besucht wurde. Solche "contact binaries" sind Doppel-Planetesimale die sich so eng umkreisen, dass sie direkt miteinander verwachsen. Es wäre interessant zu sehen, wie sich solche Objekte in der tatsächlichen Entfernung von Arrokoth von der Sonne bilden könnten – 45 Mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde (während Neptun nur 30 Mal so weit entfernt ist Neptun).
Zudem können die jetzigen Simulationen Planetesimale nur als perfekte Kugeln unterschiedlicher Größe beschreiben. Eine komplexere Zustandsgleichung, welche die Fähigkeit fester Körper einbezieht, ihre Form beizubehalten, würde eine Beschreibung von Objekten mit realistischen Materialeigenschaften einer Mischung aus porösem Eis und Staub ermöglichen. Damit könnten in der Simulation dann auch Planetesimale mit komplizierteren, unregelmäßigen Formen entstehen. Das würde auf Basis unseres heutigen Verständnisses der Entstehung des Sonnensystems zusätzliche Vorhersagen ermöglichen, die sich mit Beobachtungsdaten vergleichen ließen.
Hintergrundinformationen
Die hier beschriebenen Ergebnisse wurden veröffentlicht als B. Polak und H. Klahr, "High Resolution Study of Planetesimal Formation by Gravitational Collapse of Pebble Clouds" im Astrophysical Journal.
Hubert Klahr leitet die Gruppe Planeten- und Sternentstehungstheorie am MPIA, während Brooke Polak Doktorandin der International Max Planck Research School (IMPRS) Heidelberg am Institut für Theoretische Astrophysik der Universität Heidelberg ist und derzeit als Gastwissenschaftlerin am American Museum of Natural History in New York arbeitet.