Kosmischer Ziegelstein mit Blase
Rätselhafte Wolke in der Nähe des galaktischen Zentrums ist möglicherweise reicher an jungen Sternen als bisher angenommen
Eine Forschungsgruppe unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Astronomie hat Hinweise auf einen jungen Sternhaufen in einer Wolke gefunden, die als „The Brick“ bekannt ist. Diese Wolke in der Nähe des galaktischen Zentrums erschien bisher in Bezug auf die Sternentstehung ungewöhnlich ruhig. Der neue Befund ergibt sich aus einer bogenförmigen Teilstruktur, deren Eigenschaften mit einer expandierenden Hülle übereinstimmen. Die Autoren bringen sie mit einer Blase aus heißem Gas in Verbindung, die durch den Wind eines jungen massereichen Sterns entsteht. Da massereiche Sterne nur selten isoliert entstehen, könnte die Blase auf einen jungen Sternhaufen hindeuten, der mehrere hundert Sonnenmassen umfasst.
Sterne bilden sich im Inneren von dichten Zonen in Wolken aus Gas und Staub. Im Allgemeinen gilt: Wenn eine Wolke dicht genug ist, werden sich irgendwann Sterne bilden. Diese Faustregel scheint jedoch für die Region um das Zentrum der Milchstraße nicht ganz zu gelten. Die zentrale molekulare Zone (CMZ, engl. Central Molecular Zone), ein Gaskomplex mit einem Durchmesser von 1000 bis 2000 Lichtjahren um das galaktische Zentrum, enthält einige der dichtesten und massereichsten bekannten Gaswolken in der Milchstraße. Abgesehen von wenigen außergewöhnlich massereichen Sternhaufen zeigen viele dieser Wolken jedoch erstaunlich geringe Anzeichen für eine weit verbreitete Sternentstehungsaktivität.
Um diesen scheinbaren Widerspruch zu untersuchen, nahm eine Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Jonathan Henshaw vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg eine der rätselhaftesten Wolken in der CMZ, den so genannten „Brick“ (Ziegelstein), unter die Lupe. Sie ist bekannt für ihre hohe Dichte und eine Masse, die etwa 100.000 Sonnen entspricht. Dennoch scheint sie vergleichsweise wenige Sterne zu produzieren.
„Bei der Untersuchung der Gasbewegung des Brick sticht eine Komponente besonders hervor“, sagt Jonathan Henshaw. Er ist der Hauptautor des zugrunde liegenden Artikels, der in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlicht wurde. „Diese Unterstruktur, die auf einen engen Geschwindigkeitsbereich beschränkt ist, ähnelt einem halbmondförmigen Bogen“, fügt Henshaw hinzu.
Solche Bögen wurden bereits in Regionen mit massereicher Sternentstehung entdeckt und stellen möglicherweise das Material dar, das von einer expandierenden Hülle aus Gas mitgerissen wird. Massereiche Sterne geben Energie und Impuls an ihre Umgebung ab, die als treibende Kraft der Ausdehnung wirken. Ausgehend von dieser Annahme ermittelte die Forschergruppe einen Durchmesser der Hülle von 8,5 Lichtjahren und eine Expansionsgeschwindigkeit von etwa 5 Kilometern pro Sekunde. Indem sie diese Bewegung bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgten, datierten die Astronomen den Beginn der Expansion auf einige hunderttausend Jahre zurück. Angesichts der für kosmische Phänomene typischen Zeitskalen ist dies nur ein Wimpernschlag.
Interessanterweise fanden Henshaw und seine Mitarbeiter auch Emissionen von ionisiertem Gas, die mit dem Hohlraum innerhalb des Bogens zusammenfallen. Dieses Gas, das durch Radioemissionen aufgespürt wurde, weist eine Geschwindigkeit auf, die mit der Bewegung des Bogens übereinstimmt, was auf eine direkte Beziehung zwischen dem heißen ionisierten und dem kalten molekularen Gas hinweist.
„Wir haben mehrere denkbare Szenarien für eine sich ausdehnende Hülle, die den Bogen bildet, untersucht“, berichtet Henshaw und fährt fort: „Beim Vergleich der theoretischen Vorhersagen mit unseren Beobachtungen stellte sich heraus, dass der Wind eines massereichen Sterns von etwa 20 Sonnenmassen wahrscheinlich der dominierende Mechanismus ist.“
Insgesamt ist die Vorstellung einer sich ausdehnenden Blase aus heißem Gas, die durch den Wind eines massereichen Sterns angetrieben wird, der sich im Inneren des Bricks gebildet hat, die bisher wahrscheinlichste Erklärung für den Ursprung des Bogens. Dieses Ergebnis rückt den scheinbar ruhenden Brick in ein völlig neues Licht. Massereiche Sterne entstehen nur selten isoliert. Sie sind in der Regel ein Zeichen für die Gegenwart eines ganzen Haufens junger Sterne mit unterschiedlichen Massen. Sollte dies beim Brick der Fall sein, ist er möglicherweise aktiver als bisher angenommen.
Um die Masse der vermuteten Gruppe von Sternen zu schätzen, simulierten die Astronomen 10.000 Sternhaufen. Eine statistische Analyse derjenigen Haufen, bei denen die massereichsten Sterne das 16- bis 20-fache der Sonnenmasse haben, deutet auf einen Bereich von Haufenmassen zwischen 400 und 700 Sonnenmassen hin. Die Autoren des zugrundeliegenden Forschungsartikels wiesen auch nach, dass solche Haufen mit den derzeit verfügbaren Instrumenten leicht im Durcheinander der vielen Sterne, die in Richtung des galaktischen Zentrums beobachtet werden, und durch Überlagerung dieser Sterne durch dazwischen liegendes Gas und Staub verborgen werden können.
Um die Sterne im Inneren des Bricks besser zu erkennen, hoffen die Astronomen auf das James-Webb-Weltraumteleskop, das 2021 ins All starten soll. Seine Ergebnisse werden ihnen helfen, die Sternansammlungen im Brick zu bestimmen und möglicherweise die Ursache für die Entstehung des Bogens zu finden.
Hintergrundinformation
Das Team besteht aus J. D. Henshaw (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, Deutschland [MPIA]), M. R. Krumholz (MPIA; Australian National University, Canberra, Australien; ARC Centre of Excellence for Astronomy in Three Dimensions, Canberra, Australien; ZAH, Universität Heidelberg, Deutschland), N. O. Butterfield (Villanova University, USA), J. Mackey (Dublin Institute for Advanced Studies, Irland), A. Ginsburg (University of Florida, Gainesville, USA [UFL]), T. J. Haworth (Queen Mary University of London, UK), F. Nogueras-Lara (MPIA), A. T. Barnes (Universität Bonn, Deutschland), S. N. Longmore (Liverpool John Moores University, UK), J. Bally (University of Colorado, USA), J. M. D. Kruijssen (ARI, Universität Heidelberg, Deutschland), E. A. C. Mills (University of Kansas, Lawrence, USA), H. Beuther (MPIA), D. L. Walker (University of Connecticut, Storrs, USA [UCONN]), C. Battersby (UCONN), A. Bulatek (UFL), T. Henning (MPIA), J. Ott (National Radio Astronomy Observatory, Socorro, USA; New Mexico Institute of Mining and Technology, Socorro, USA) und J. D. Soler (MPIA; Istituto di Astrofisica e Planetologia Spaziali, Istituto Nazionale di Astrofisica, Rom, Italien).
MN