Ein gigantisches Band aus Rohmaterial für neue Sterne

Riesiges Filament aus atomarem Wasserstoff als mögliches Vorstadium zur Entstehung sternbildender Wolken entdeckt

20. Dezember 2021

Eine Gruppe von Astronominnen und Astronomen, angeführt von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA), haben in der Milchstraße mit rund 3900 Lichtjahren eine der längsten bekannten Strukturen identifiziert, die fast ausschließlich aus atomarem Wasserstoffgas besteht. Dieses Filament, genannt „Maggie“, könnte ein Bindeglied in dem Materiekreislauf der Sterne darstellen. Die Auswertung der Messdaten deutet darauf hin, dass sich in dem Gebilde lokal das atomare Gas zu molekularem Wasserstoff verbindet. In großen Wolken verdichtet, ist dies das Material, aus dem sich letztendlich Sterne bilden.

Wasserstoff ist im Universum die am weitesten verbreitete Substanz und die Hauptzutat bei der Entstehung von Sternen. Leider sind einzelne Wolken aus Wasserstoffgas besonders schwierig nachzuweisen, was die Erforschung der Frühphasen der Sternentstehung erschwert. Umso sensationeller ist die aktuelle Entdeckung einer überraschend langen Struktur, einem Filament, aus atomarem Wasserstoffgas durch eine internationale Forschungsgruppe, die von Astronominnen und Astronomen des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) in Heidelberg geleitet wird.

Dazu beigetragen hat die Lage dieses Filaments“, sagt Jonas Syed, Doktorand am MPIA und Erstautor des heute im Fachjournal Astronomy & Astrophysics erschienenen Artikels. „Wir wissen zwar noch nicht genau, wie es dorthin gelangt ist. Aber das Filament verläuft etwa 1600 Lichtjahre unterhalb der Milchstraßenebene.“ Dadurch hebt sich die Strahlung des Wasserstoffs, die bei einer Wellenlänge von 21 Zentimetern liegt, deutlich vor dem Hintergrund ab und macht das Filament sichtbar.

Die Beobachtungen ermöglichten zudem, die Geschwindigkeit des Wasserstoffgases zu ermitteln“, erklärt Henrik Beuther, Co-Autor der Studie und Leiter des Beobachtungsprogramms THOR (The HI/OH/Recombination line survey of the Milky Way) am MPIA, auf dem die Daten beruhen. „So konnten wir zeigen, dass sich die Geschwindigkeiten entlang des Filaments kaum unterscheiden.“ Daher, so folgern die Forschenden, handelt es sich tatsächlich um eine zusammenhängende Struktur.

Ihre mittlere Geschwindigkeit wird maßgeblich durch die Rotation der Milchstraßenscheibe bestimmt. „Mit dieser Information und einer neuen Datenauswertungsmethode konnten wir die Größe und Entfernung des Filaments bestimmen“, erzählt Sümeyye Suri, Co-Autorin und frühere MPIA-Astronomin, die nun an der Universität Wien forscht. „Es ist etwa 3900 Lichtjahre lang und 130 Lichtjahre breit.“ Mit einer Entfernung von rund 55.000 Lichtjahren befindet es sich auf der anderen Seite der Milchstraße. Dem gegenüber sind die größten bekannten Wolken aus molekularem Gas typischerweise „nur“ etwa 800 Lichtjahre groß.

Wasserstoff tritt im Universum in verschiedenen Zuständen auf. Man findet es in Form von Atomen und in Molekülen, in denen je zwei Atome miteinander verbunden sind. Nur das molekulare Gas bildet relativ dichte Wolken, in denen sich sehr kalte Bereiche ausprägen wo schließlich neue Sterne entstehen. Wie aber der Übergang von atomarem zu molekularem Wasserstoff genau passiert, ist noch weitgehend unbekannt. Umso spannender ist die Gelegenheit, nun dieses außergewöhnlich lange Filament studieren zu können.

Einen ersten Hinweis auf dieses Objekt fand Co-Autor Juan D. Soler bereits vor einem Jahr. Er taufte das Filament auf den Namen „Maggie“ nach dem längsten Fluss seines Heimatlandes Kolumbien, genannt Río Magdalena. „Maggie war zwar schon in früheren Auswertungen der Daten erkennbar. Aber erst die aktuelle Untersuchung beweist zweifellos, dass es sich um eine zusammenhängende Struktur handelt“, erläutert Soler, der kürzlich vom MPIA zum Istituto Nazionale di Astrofisica (INAF) in Rom wechselte.

Bei näherer Betrachtung stellte das Team fest, dass das Gas an einigen Stellen entlang des Filaments aufeinander zuläuft. Die Forschenden schließen daraus, dass sich das Wasserstoffgas dort zu großen Wolken anhäuft und verdichtet. Sie vermuten zudem, dass das atomare Gas dort allmählich in eine molekulare Form übergeht.

In bereits publizierten Daten fanden sie tatsächlich Anzeichen dafür, dass Maggie einen Massenanteil von etwa 8 % molekularem Wasserstoff enthält. Womöglich sehen wir hier eine Region in der Milchstraße, in der sich das unmittelbare Rohmaterial für neue Sterne bildet. Hier könnten also in einer fernen Zukunft neue Sterne entstehen. „Allerdings bleiben noch viele Fragen offen“, gibt Syed zu bedenken. „Weitere Daten, über die wir uns mehr Hinweise über den Anteil des molekularen Gases erhoffen, warten bereits auf die Auswertung.

Zusätzliche Informationen

Das Team besteht aus Jonas Syed (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, Deutschland [MPIA]), Juan D. Soler (MPIA; Istituto di Astrofisica e Planetologia Spaziali, Istituto Nazionale di Astrofisica, Rom, Italien), Henrik Beuther (MPIA), Yuan Wang (MPIA), Sümeyye Suri (MPIA; Astrophysikalisches Institut, Universität Wien, Österreich), Jonathan D. Henshaw (MPIA), Manuel Riener (MPIA), Shmuel Bialy (Harvard Smithsonian Center, Cambridge, USA), Sara Rezaei Khoshbakht (MPIA; Chalmers tekniska högskola, Göteborg, Schweden), Jeroen M. Stil (Department of Physics and Astronomy, The University of Calgary, Kanada), Paul F. Goldsmith (Jet Propulsion Laboratory, California Institute of Technology, Pasadena, USA), Michael R. Rugel (Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn, Deutschland), Simon C. O. Glover (Zentrum für Astronomie, Institut für Theoretische Astrophysik, Universität Heidelberg, Deutschland [ZAH/ITA]), Ralf S. Klessen (ZAH/ITA; Interdisziplinäres Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen, Universität Heidelberg, Deutschland), Jürgen Kerp (Argelander-Institut für Astronomie, Universität Bonn, Deutschland), James S. Urquhart (Centre for Astrophysics and Planetary Science, University of Kent, Großbritannien), Jürgen Ott (National Radio Astronomy Observatory, Socorro, USA), Nirupam Roy (Department of Physics, Indian Institute of Science, Begaluru, Indien), Nicola Schneider (I. Phyikalisches Institut, Universität zu Köln, Deutschland), Rowan J. Smith (Jodrell Bank Centre for Astrophysics, University of Manchester, Großbritannien), Steven N. Longmore (Astrophysics Research Institute, Liverpool John Moores University, Liverpool, Großbritannien), Hendrik Linz (MPIA)

MN

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