Reimar Lüst – Wegbereiter des MPIA verstorben
Damals war die beobachtende Astronomie in Deutschland kriegsfolgebedingt weit hinter vergleichbaren Ländern zurückgeblieben. In einer Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 1962 wurden größere Teleskope im günstigen Klima des Südens gefordert, die allen Universitäten zugänglich sein sollten. Um die zu erwartenden Schwierigkeiten bei Finanzierung, Standortwahl und Zuständigkeiten zwischen den Bundesländern und dem Bund zu entgehen, schlug Lüst die Einbringung der geplanten Südsternwarte in ein neu zugründendes Max-Planck-Institut für Astronomie vor. Gemeinsam mit Hans Elsässer, einem der Verfasser der Denkschrift, konnte Lüst 1964 eine Zusage des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft für das Vorhaben erreichen. Lüsts Stimme hatte Gewicht: Er war damals Direktor des neuen Instituts für extraterrestrische Physik im MPI für Physik und Astrophysik, und er war Mitglied des einflussreichen Wissenschaftsrates. Wegen der zu erwartenden hohen Kosten für ein großes Observatorium, wurde eine Sonderfinanzierung durch den Bund erforderlich. Eine international besetzte Arbeitsgruppe prominenter Astronomen erarbeitete unter Lüsts Führung die Leitlinien für die Schaffung des neuen Instituts. Es wurde ein großer Wurf: Gebaut werden sollten zwei Sternwarten für die Nord- und Südhalbkugel der Erde und zusätzlich ein Heimatinstitut in Deutschland. Im Sommer 1967 konnte Lüst die letzten Zögerer überzeugen, und im Herbst beschloss der Senat der Max-Planck-Gesellschaft die Gründung. 1969 begann das neue MPIA seine Forschung als Untermieter in der Landessternwarte auf dem Heidelberger Königstuhl und deren Leiter Hans Elsässer wurde Gründungsdirektor des neuen Instituts. Der Neubau des MPIA in der direkten Nachbarschaft der Landessternwarte wurde 1976 feierlich eröffnet. Unter den prominenten Festgästen war Reimar Lüst anwesend, nun als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft.
In diesem Präsidentenamt leistete Lüst dem MPIA noch einmal entscheidende Hilfe. Da das fertiggestellte 2.2-m-Teleskop für die Südhalbkugel damals aus politischen Gründen nicht auf dem Gamsberg in Namibia aufgestellt werden konnte, erreichte Lüst 1981 die Einbringung in die Europäische Südsternwarte auf La Silla in Chile. Nach der ausgehandelten Formel „Ein Viertel Teleskop für ein Viertel Jahrhundert“, bekamen Astronomen das MPIA und aus Deutschland hervorragende Beobachtungsmöglichkeiten am Südhimmel, die heute noch intensiv genutzt werden.
Eine frühe Anregung für die Forschung im MPIA hatte Lüst schon in Vorträgen auf der Tagung der Astronomischen Gesellschaft 1962 in Freiburg gegeben. Dort überzeugte er die versammelten Astronomen von den Vorzügen von Beobachtungen aus dem Weltraum. Mit Ballons, Raketen und Satelliten würden alle Spektralbereiche zugänglich. Hans Elsässer nahm diese Anregung damals begeistert auf. Sein neues MPIA zielte von Anfang an auf Beobachtungen vom Boden und mit extraterrestrischen Instrumenten.
Drei Jahre vor dem MPI für Astronomie war ebenso durch Lüsts Mithilfe das MPI für Radioastronomie entstanden. Reimar Lüst hatte sein Ziel erreicht: Forscher der Max-Planck-Institute sollten das Universum in allen Spektralbereichen erforschen können - von den hochenergetischen Gammastrahlen bis zu meterlangen Radiowellen.
Die vielseitigen wissenschaftlichen Leistungen Lüsts und seine überragenden Fähigkeiten und Ergebnisse als Wissenschafts-Organisator werden in zeitgleichen Nachrufen der Max-Planck-Gesellschaft und des MPI für extraterrestrische Physik gewürdigt. Am MPIA wollen wir ihn als einen unser Gründungsväter und seine für die Wissenschaft begeisternde Ausstrahlung in dankbarer Erinnerung behalten.
(Text: Dietrich Lemke)