Astronomen finden ungewöhnliche bewegte Strukturen in der Staubscheibe eines Sterns

7. Oktober 2015

Mithilfe des Instruments SPHERE und des Weltraumteleskops Hubble hat ein Team von Astronomen, dem auch Forscher vom Max-Planck-Institut für Astronomie angehören, ungewöhnliche bewegte Strukturen in der Staubscheibe um den nahen Stern AU Microscopii ausgemacht. Es handelt sich um die erste Beobachtung solcher zeitlich veränderlicher Strukturen überhaupt, und zum jetzigen Zeitpunkt ist unklar, worum es sich im einzelnen handelt und wie die Strukturen enstanden sind. Sie könnten mit Eruptionen des Sterns AU Mic und/oder mit (bislang nicht nachgewiesenen) Planeten in der Staubscheibe zusammenhängen. Die Ergebnisse sind in der Ausgabe vom 8. Oktober 2015 der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

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Der Stern AU Mic (“AU Microscopii”) im südlichen Sternbild Mikroskop, weniger als 33 Lichtjahre von der Erde entfernt, ist von einer großen Staubscheibe umgeben, die irdische Beobachter fast genau von der Seite sehen.  Jetzt ist es mithilfe von SPHERE, einem jüngst am Very Large Telescope der ESO installierten Instrument insbesondere zur Beobachtung von Exoplaneten und den Scheiben um Sterne, gelungen, die Trümmerscheibe von AU Mic detailscharf abzubilden. Außer den SPHERE-Daten wurden dabei noch frühere Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Hubble genutzt. Erstmals gelang es dabei, nicht nur Unterstrukturen der Scheibe zu zeigen, sondern auch zuverlässig nachzuweisen, wie sich diese Strukturen mit der Zeit verändern. Die Scheibe um AU Mic weist offenbar schnell bewegte, wellenartige Strukturen auf.

Als das Instrumententeam von SPHERE nach Zielobjekte für ihre ersten Beobachtungen suchte, war AU Mic ein naheliegender Kandidat. MPIA-Direktor Thomas Henning, der an der Forschungsarbeit beteiligt war, erklärt: "Gleich auf den ersten Blick haben wir detaillierte Strukturen in der Scheibe gesehen – hätten Sie mir vor ein paar Jahren gesagt, dass solche Bilder 2015 möglich wären, hätte ich Ihnen das vermutlich nicht geglaubt. Wir haben diese Strukturen dann mit Bildern verglichen, die einige Kollegen und ich 2010 und 2011 mit dem Weltraumteleskop Hubble aufgenommen hatten."

Henning fährt fort: "Uns erwartete eine Überraschung: In der Tat war es uns möglich, eine ganze Reihe von Strukturen eindeutig sowohl in den SPHERE- als auch in den Hubble-Bildern zu identifizieren. Aber innerhalb der wenigen Jahre, die zwischen den beiden Beobachtungen vergangen waren, hatten sich diese Strukturen deutlich weiter vom Stern entfernt. Zum ersten Mal beobachten wir nicht nur die Struktur oder die spektralen Eigenschaften einer solchen Trümmerscheibe – wir konnten zusehen, wie sich die Scheibe veränderte!"

Eine vorläufige Auswertung der Daten, die noch durch zukünftige Beobachtungen bestätigt werden muss, legt nahe, dass ein Teil der Materie, die dort beobachtet wurde, schnell genug fliegt, um aus der Scheibe und sogar aus dem gesamten betroffenen Sternensystem zu entkommen.

Bislang ist noch nicht vollständig geklärt, wie die dynamischen Eigenschaften, die der Vergleich der SPHERE- und Hubble-Bilder offenbart hat, zustandekommen. AU Mic ist ein roter Zwerg (Typ M1 Ve), der nur etwas mehr als halb so groß ist wie die Sonne – mit rund 12 Millionen Jahren ein recht junger Stern im Vergleich zu den knapp 5 Milliarden Jahre unserer Sonne. Wie bei solchen jungen Sternen häufig, zeigt AU Mic starke Aktivität und produziert mit einiger Häufigkeit Eruptionen, bei denen stellares Plasma mit hohen Geschwindigkeiten nach außen geschleudert ist. Eine Möglichkeit ist, dass die bewegten Strukturen in der Staubscheibe auf diese Weise zustande gekommen sind.

Eine weitere durchaus reizvolle Möglichkeit ist, dass die Veränderungen in der Scheibe Hinweise auf das Vorhandensein eines oder mehrerer Riesenplaneten in der Staubscheibe sind. Die Veränderungen würden in diesem Falle durch die Schwerkraftanziehung der Planeten während ihres Wanderns durch die Scheibe hervorgerufen. Bislang sind allerdings noch keine Planeten um AU Mic nachgewiesen – was sich in Zukunft allerdings durchaus ändern könnte.

Insgesamt legt der überraschende Nachweis der Scheibendynamik von AU Mic ein ganzes Programm zusätzlicher Beobachtungen nahe. Haben die Forscher besonders großes Glück, könnte ihnen sogar der Nachweis von Protoplaneten in der Scheibe gelingen, also von kleineren Körpern, die eifrig weitere Masse ansammeln um später zu Planeten zu werden.  Allgemeiner sollten detaillierte Beobachtungen der Dynamik solcher Scheiben direkte Vergleiche mit der Simulation solcher Objekte ermöglichen – und könnten auch Informationen über Prozesse der Planetenentstehung liefern, die in der Scheibe ihre Spuren hinterlassen haben.

Hintergrundinformationen

Die hier vorgestellten Ergebnisse sind veröffentlicht als Boccaletti et al., "Fast-Moving Structures in the Debris Disk Around AU Microscopii", in der Nature-Ausgabe vom 8. Oktober 2015.

Text des Fachartikels

ESO-Pressemitteilung zu den Ergebnissen (passwortgeschützt vor Ablauf der Sperrfrist)

Das internationale Forscherteam, das die Arbeiten durchführte, besteht aus Anthony Boccaletti (Observatoire de Paris, CNRS, France), Christian Thalmann (ETH Zürich, Switzerland), Anne-Marie Lagrange (Université Grenoble Alpes, France; CNRS, IPAG, France), Markus Janson (Universität Stockholm und Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg), Jean-Charles Augereau (Université Grenoble Alpes, France; CNRS, IPAG, France), Glenn Schneider (University of Arizona Tucson, USA), Julien Milli (ESO, Chile; CNRS, IPAG, France), Carol Grady (Eureka Scientific, USA), John Debes (STScI, USA), Maud Langlois (CNRS/ENS-L, France), David Mouillet (Université Grenoble Alpes, France; CNRS, IPAG, France), Thomas Henning (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg), Carsten Dominik (Universität Amsterdam), Anne-Lise Maire (INAF–Osservatorio Astronomico di Padova, Italy), Jean-Luc Beuzit (Université Grenoble Alpes, France; CNRS, IPAG, France), Joe Carson (College of Charleston, USA), Kjetil Dohlen (CNRS, LAM, France), Markus Feldt (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg), Thierry Fusco (ONERA, France; CNRS, LAM, France), Christian Ginski (Sterrewacht Leiden, Niederlande), Julien H. Girard (ESO, Santiago, Chile; CNRS, IPAG, France), Dean Hines (STScI, USA), Markus Kasper (ESO, Deutschland; CNRS, IPAG, France), Dimitri Mawet (ESO, Chile), Francois Ménard (Universidad de Chile, Chile), Michael Meyer (ETH Zürich), Claire Moutou (CNRS, LAM, France), Johan Olofsson (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg), Timothy Rodigas (Carnegie Institution of Washington, USA), Jean-Francois Sauvage (ONERA, France; CNRS, LAM, France), Joshua Schlieder (NASA Ames Research Center, USA; Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg), Hans Martin Schmid (ETH Zürich, Switzerland), Massimo Turatto (INAF–Osservatorio Astronomico di Padova, Italy), Stephane Udry (Observatoire de Genève, Switzerland), Farrokh Vakili (Université de Nice-Sophia Antipolis, France), Arthur Vigan (CNRS, LAM, France; ESO, Chile), Zahed Wahhaj (ESO, Chile; CNRS, LAM, France) und John Wisniewski (University of Oklahoma, USA).

Das Instrument SPHERE wurde unter Beteiligung des MPIA entwickelt; vgl. dazu unsere Pressemitteilung Sphere auf der Jagd nach Exoplaneten vom 5. Juni 2014.

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Fragen und Antworten

Was sind Trümmerscheiben und wie wurden sie bislang beobachtet?

Trümmerscheiben wie die von AU Mic sind Überbleibsel aus der Phase der Planetenentstehung. Damals war AU Mic von einer protoplanetaren Scheibe aus Gas und Staub umgeben, aus der sich etwaige Planeten formten (bislang ist noch keiner davon nachgewiesen). In unserem eigenen Sonnensystem ist der Kuipergürtel jenseits der Neptun-Umlaufbahn, der aus tausenden kleinerer Himmelskörper besteht (inklusive Pluto) eine bereits deutlich gealterte solche Trümmerscheibe. Ein Teil des Staubes in der Scheibe dürfte durch die Kollision von asteroidenartigen Objekten entstanden sein.

Astronomische Beobachtungen sind vor allem deswegen eine große Herausforderung, weil die Distanzen zu den Beobachtungsobjekten extrem groß sind. Selbst auf den Bildern von Kameras, die an den größten der heutigen Teleskope installiert sind, lassen sich beispielsweise Sterne nicht von punktförmigen Lichtquellen unterscheiden. Für die Trümmerscheiben liegen typische Radien zwischen zehn und hundert Mal dem Abstand Erde-Sonne, also bei 10 bis 100 astronomischen Einheiten (astronomical unit, AU). Die meisten Trümmerscheiben wurden lediglich indirekt nachgewiesen, durch die Infrarotstrahlung die entsteht, wenn der Staub das Licht des Sterns streut. Nur einige der Scheiben sind groß genug und der Erde nahe genug, dass sie sich auf Bildern festhalten lassen. Die meisten Untersuchungen solcher Scheiben nutzen stattdessen vornehmlich die Energieverteilung (Spektrum) des von den Scheiben ausgestrahlten Lichts.

Wie wurden die Beobachtungen vorgenommen - und was ist die besondere Rolle von SPHERE?

SPHERE verfügt über ein Arsenal an Techniken, die genau für Beobachtungssituationen wie die hier vorliegende geschaffen sind: für die Beobachtungen von Exoplaneten oder Scheiben, die von ihrem Zentralstern überstrahlt werden. Dazu gehören ein System „extremer adaptiver Optik“, welche die Störungen des Lichts beim Durchgang durch die Erdatmosphäre weitgehend ausgleichen kann (diese Störungen begrenzen das Auflösungsvermögen des Teleskops), eine Auswahl an sogenannten Koronographen, mit denen sich das Licht des Zentralsterns mechanisch abschatten lässt und ein Polarimeter, das es ermöglicht, reflektiertes Licht besonders gut zu beobachten (eben z.B. das Licht, das vom Staub der Scheibe gestreut wird). SPHERE ist außerdem für die Beobachtungstechnik des differentiellen Bildvergleichs eingerichtet, mit deren Hilfe sich Bilder eines Objekts wie der Staubscheibe von Störeffekten unterscheiden lassen.

Am 10. August 2014 richteten die Forscher die Infrarotkamera IRDIS des SPHERE-Instruments auf AU Mic. Eine besonders klare und ruhige Nacht sowie tadellose Leistungen der adaptiven Optik bescherten den Astronomen Bilder mit hohem Kontrast und exzellenter Qualität – über kürzeste räumliche Distanzen (eine halbe Bogensekunde) konnten diese Bilder Helligkeitswerte erfassen, die sich um mehr als einen Faktor 10.000 unterschieden. Auf diese Weise gelangen detailreiche Bilder der Scheibengebiete, die zwischen 1,7 und rund 70 astronomischen Einheiten vom Zentralstern entfernt sind. Weiter innen liegende Regionen wurden ausgeblendet, um das Sternenlicht abzuschatten; die äußere Grenze ergibt sich durch das Blickfeld des Instruments. Insgesamt erstreckt sich die Scheibe bis hin zu Distanzen von mindestens 200 astronomischen Einheiten.

Die Hubble-Bilder entstanden mit der Spektroskop-Kamera-Kombination STIS in den Jahren 2010 und 2011. Rückblickend beurteilt lassen sich selbst im Vergleich zwischen den Hubble-Bildern von 2010 und denen von 2011 Anzeichen der jetzt nachgewiesenen Änderungen finden.

Was sind die nächsten Schritte?

Insgesamt legt der überraschende Nachweis der Scheibendynamik von AU Mic ein ganzes Programm zusätzlicher Beobachtungen nahe: Weitere Aufnahmen sowohl mit dem Hubble-Weltraumteleskop und mit SPHERE könnten weitere Daten liefern und die zukünftige Entwicklung zeigen. Messungen mit dem Polarimeter ZIMPOL, einem der Untersysteme von SPHERE, könnte die räumliche Ausrichtung der Strukturen zeigen, die in den Bildern sichtbar sind. Beobachtungen mit dem Millimeter-/Submillimeterobservatorium ALMA könnten zeigen, wieviel Gas noch in der Scheibe vorhanden ist. Und langfristige Beobachtungen der Sternaktivität von AU Mic könnte eine etwaige Verbindung zwischen Sternaktivität und Scheibendynamik belegen oder widerlegen. Mit den Bildvergleichstechniken gelingen, für die SPHERE optimiert ist, könnte auch der Nachweis von gerade entstehenden Planeten gelingen; besonders vielversprechend sind dafür Beobachtungen des charakteristischen Lichts, das von angeregten Wasserstoffatomen emittiert wird (Hα).

Was ist neu/besonders an diesen Ergebnissen?

Trümmerscheiben können Aufschluss über interessante Phasen der Planetenentstehung liefern. Bislang wurden die allermeisten solcher Scheiben allerdings nur indirekt untersucht, über die Spektren ihres Lichts. Nur für wenige der Scheiben existieren Aufnahmen, und dies ist das erste Mal, dass Astronomen nicht nur feine Substrukturen identifizieren, sondern verlässlich rekonstruieren konnten, wie sich die Scheibenstrukturen verändern: schnell bewegte, wellenartige Strukturen, die in der Scheibe nach außen laufen. Die Natur und der Entstehungsmechanismus dieser Strukturen ist derzeit noch ungeklärt.

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