Uralte Gaswolke zeigt, dass die ersten Sterne direkt nach dem Urknall entstanden sein müssen
Astronomen unter der Leitung von Eduardo Bañados vom Max-Planck-Institut für Astronomie haben eine Gaswolke entdeckt, die Informationen über die Frühphase der Galaxien- und Sternentstehung liefert, bloße 850 Millionen Jahre nach dem Urknall. Die Gaswolke wurde zufällig bei der Beobachtung eines entfernten Quasars gefunden, und sie sieht so aus, wie sich die Astronomen die Vorläufer moderner Zwerggalaxien vorgestellt haben. Was die relativen Häufigkeiten der chemischen Elemente angeht, ist die Wolke dagegen überraschend modern. Das ist nur möglich, wenn sich die ersten Sterne im Universum sehr rasch direkt nach dem Urknall gebildet haben. Die neuen Ergebnisse wurden jetzt im Astrophysical Journal veröffentlicht.
Wenn Astronomen ferne Himmelsobjekte beobachten, dann blicken sie zwangsläufig in die Vergangenheit zurück. Die von Bañados et al. entdeckte Gaswolke ist so weit entfernt, dass ihr Licht fast 13 Milliarden Jahre gebraucht hat, um uns zu erreichen. Dementsprechend zeigt uns das Licht, das uns jetzt erreicht, wie die Gaswolke vor fast 13 Milliarden Jahren aussah, nicht mehr als etwa 850 Millionen Jahre nach dem Urknall. Für Astronomen ist jene Zeit besonders interessant, innerhalb der ersten mehreren hundert Millionen Jahre nach dem Urknall bildeten sich die ersten Sterne und Galaxien – und die Details dieser frühen Entwicklung sind noch weitgehend unbekannt.
Die Entdeckung der außergewöhnlichen Gaswolke verdanken die Astronomen dem Zufall. Bañados, damals an der Carnegie Institution for Science, und seine Kollegen waren dabei, eine Gruppe von Quasaren genauer zu untersuchen. Jene Gruppe von 15 fernen Quasare hatte Ko-Autorin Chiara Mazzucchelli für ihre Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie zusammengestellt und dazu die entferntesten bekannten Vertreter der Gattung (Rotverschiebung z³6.5) versammelt. Zuerst stellten die Forscher nur fest, dass der Quasar P183+05 ein eher ungewöhnliches Spektrum aufwies. Aber als Bañados dann eine detailreichere Aufnahme eines Spektrums analysierte, die er mit einem der Magellan-Teleskope am Las-Campanas-Observatorium in Chile angefertigt hatte, erkannte er, worum es sich eigentlich handelte: Das Ungewöhnliche in dem Spektrum waren die Spuren einer Gaswolke, die sehr nahe an dem entfernten Quasar lag – eine der entferntesten Gaswolken, die Astronomen bisher haben identifizieren können.
Durchleuchtet von einem fernen Quasar
Quasare sind die extrem hellen aktiven Kerne entfernter Galaxien. Verantwortlich für ihre große Leuchtkraft ist das zentrale supermassereiche Schwarze Loch der Galaxie. Materie, die um dieses schwarze Loch kreist (bevor sie dann hineinfällt), erwärmt sich dabei auf Temperaturen von Hunderttausenden von Grad und sendet deswegen enorme Mengen an Strahlung aus. Die große Helligkeit ermöglicht es Astronomen, Quasare als Hintergrund-Lichtquellen zu nutzen, um Wasserstoff und andere chemische Elemente „in Absorption“ zu beobachten: Befindet sich eine Gaswolke direkt zwischen dem Beobachter und einem entfernten Quasar, absorbiert sie einen Teil des Quasar-Lichts und lässt sich auf diese Weise nachweisen.
Astronomen untersuchen zu diesem Zweck das Spektrum des Quasars, also die regenbogenartige Zerlegung des Lichts in die verschiedenen Wellenlängenbereiche. Die Stärke der Absorption bei unterschiedlichen Wellenlängen liefert Informationen über die chemische Zusammensetzung, Temperatur, Dichte und sogar über die Entfernung der Gaswolke von uns (sowie ihre Entfernung vom Quasar). Verantwortlich dafür ist der Umstand, dass jedes chemische Element einen "Fingerabdruck" von Spektrallinien hat – jede Linie ein enger Wellenlängenbereich, in dem die Atome dieses Elements Licht besonders gut emittieren oder absorbieren können. Das Vorhandensein eines charakteristischen Fingerabdrucks zeigt das Vorhandensein eines bestimmten chemischen Elements an und lässt sogar Rückschlüsse darauf zu, eine wie große Menge des Elements in der Wolke vorhanden ist.
Spuren der ersten Sterne?
Aus dem Spektrum der neu entdeckten Gaswolke konnten die Forscher sofort erkennen, wie weit die Wolke von uns entfernt ist – und das sie in diesem Falle in die erste Milliarde Jahre kosmischer Geschichte zurückblickten. Sie fanden auch Spuren von mehreren chemischen Elementen wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Eisen und Magnesium. Die Menge dieser Elemente war jedoch winzig und entsprach nur rund einem Achthundertstel der Häufigkeit jener Elemente in der Atmosphäre unserer Sonne. Astronomen fassen alle Elemente schwerer als Helium unter den Sammelbegriff "Metalle" zusammen; die Messung macht die Gaswolke zu einem der metallärmsten (und entferntesten) Himmelsobjekte, das wir kennen. Michael Rauch von der Carnegie Institution of Science, Mitautor der neuen Studie, sagt: "Nachdem wir überzeugt waren, dass wir nur 850 Millionen Jahre nach dem Urknall auf urtümliches Gas gestoßen waren, haben wir uns gefragt, ob dieses System vielleicht sogar die chemischen Fingerabdrücke der allerersten Generation von Sternen enthält.“
Die Suche nach diesen Sternen der ersten Generation, die zur sogenannten „Population III“ gehören, ist eine der wichtigsten Aufgaben die es zu lösen gilt um herauszufinden, was im frühen Universum geschah. Im späteren Universum spielen chemische Elemente, die schwerer als Wasserstoff sind, eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Gaswolken zu Sternen kollabieren zu lassen. Aber diese chemischen Elemente, insbesondere Kohlenstoff, werden ihrerseits erst in Sternen produziert und in Supernova-Explosionen ins All geschleudert. Für die ersten Sterne stand noch kein Kohlenstoff als Kollaps-Beschleuniger zur Verfügung, denn direkt nach der Urknallphase gab es nur Wasserstoff- und Heliumatome. Das macht die ersten Sterne grundlegend anders als alle späteren Sterne.
Die Analyse des Spektrums der Wolke zeigte, dass deren chemische Zusammensetzung alles andere als urtümlich war, sondern erstaunlich genau den relativen Häufigkeiten der Elemente entsprach, wie man sie in den heutigen intergalaktischen Gaswolken findet. Das stellt für die Modelle der Entstehung der ersten Sterne eine beachtliche Herausforderung dar.
So viele Sterne, so wenig Zeit
Insbesondere muss die Entstehung der ersten Sterne diesen Ergebnissen nach bereits deutlich früher begonnen haben muss als zu jener Zeit, zu der wir die Gaswolke beobachten. Es musste nämlich seit Beginn der ersten Sternentstehung genügend Zeit vergangen sein, dass sich das heutige Gleichgewicht einstellen konnte – und die Spuren der frühen Sternchemie von den nachfolgenden Sternexplosionen mindestens einer weiteren Generation von Sternen überlagert werden konnten. Besonders wichtig ist dabei die Rolle der sogenannten Supernovae vom Typ Ia. Solche Supernovae finden rund eine Milliarde Jahre nach der Entstehung der beteiligten Sterne statt. Das schiebt die Entstehung jener Sterne weit in die Vergangenheit, in die Zeit direkt nach dem Urknall.
Nachdem die Astronomen diese eine sehr frühe Wolke gefunden haben, suchen sie systematisch nach weiteren Exemplaren. "Es ist spannend, dass wir die Metallizität und die Elementhäufigkeiten so früh in der Geschichte des Universums messen können. Aber wenn wir die Spuren der allerersten Sterne identifizieren wollen, müssen wir noch weiter in die Vergangenheit vordringen. Ich bin optimistisch, dass wir noch weiter entfernte Gaswolken finden werden, die uns helfen können zu verstehen, wie die ersten Sterne geboren wurden."
Hintergrundinformationen
Die hier beschriebenen Ergebnisse wurden als Bañados et al., "A metal-poor damped Lyα system at redshift 6.4", im Astrophysical Journal veröffentlicht.
Die von MPIA-Seite Beteiligten sind Eduardo Bañados (auch Carnegie Institution for Science), Emanuele Farina und Joe Hennawi (beide auch UCSB), Bram P. Venemans und Fabian Walter (auch NRAO), in Zusammenarbeit mit Michael Rauch (Carnegie Institution for Science), Roberto Decarli (INAF Bologna), Chiara Mazzucchelli (ESO), Robert A. Simcoe (MIT-Kavli Center for Astrophysics and Space Research), J. Xavier Prochaska (UCSC), Thomas Cooper (Carnegie Institution for Science), Frederick B. Davies (UCSB) und Shi-Fan S. Chen (MIT-Kavli Center for Astrophysics and Space Research und UC Berkeley).
- E-print des Artikels
http://adsabs.harvard.edu/abs/2019arXiv190306186B