Gigantisches Schwarzes Loch könnte Modelle der Galaxienentwicklung kippen

28. November 2012

Eine Gruppe von Astronomen um Remco van den Bosch vom Max-Planck-Institut für Astronomie haben ein Schwarzes Loch entdeckt, das an den Grundlagen heutiger Modelle der Galaxienentwicklung rüttelt. Mit 17 Milliarden Sonnenmassen ist das Schwarze Loch im Vergleich zur Masse seiner Heimatgalaxie deutlich massereicher, als es diese Modelle vorhersagen. Dies könnte sogar das massereichste bislang bekannte Schwarze Loch überhaupt sein.

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Nach bestem Wissen der heutigen Astronomen sollte jede Galaxie in ihrer Zentralregion ein sogenanntes supermassereiches Schwarzes Loch aufweisen: ein Schwarzes Loch mit einer Masse zwischen einigen hunderttausend und Milliarden von Sonnenmassen. Das am besten untersuchte Exemplar mit rund vier Millionen Sonnenmassen sitzt im Zentrum unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße.

Untersuchungen der Massen von Galaxien und ihrer Schwarzen Löcher haben einen interessanten Zusammenhang aufgedeckt: eine direkte Verbindung zwischen der Masse des zentralen Schwarzen Lochs einer Galaxie und der Masse ihrer Sterne. Typischerweise kommt das Schwarze Loch dabei auf einen winzigen Bruchteil der Gesamtmasse der Galaxie.

Jetzt hat freilich eine systematische Suche, die von dem niederländischen Astronomen Remco van den Bosch (MPIA) geleitet wird, ein supermassereiches Schwarzes Loch ausfindig gemacht, das die allgemein akzeptierte Beziehung zwischen Schwarzloch- und Galaxienmasse aushebeln könnte – eine Beziehung, die eine wichtige Rolle in allen derzeit gängigen Modellen der Galaxienentwicklung spielt. Der Fund gelang mit Hilfe von Beobachtungen mit dem Hobby-Eberly Telescope und archivierten Bildern des Weltraumteleskops Hubble.

Mit 17 Milliarden Sonnenmassen könnte das neuentdeckte Schwarze Loch im Zentrum der Scheibengalaxie NGC 1277 sogar das größte überhaupt bekannte Schwarze Loch sein. Die Masse des derzeitigen Rekordhalters wird auf zwischen 6 und 37 Milliarden Sonnenmassen geschätzt (McConnell et al. 2011); liegt der wahre Wert am unteren Ende, bricht NGC 1277 diesen Rekord. Wenn nicht, wäre das Schwarze Loch in NGC 1277 immerhin noch das zweitgrößte bekannte Schwarze Loch.

Die große Überraschung besteht darin, dass die Masse des zentralen Schwarzen Lochs 14% der Gesamtmasse von NGC 1277 ausmacht – im Vergleich mit üblichen Werten rund um 0,1 %. Das schlägt den bisherigen Rekord um einen Faktor von mehr als zehn. Astronomen hätten ein Schwarzes Loch dieser Größe in einer mindestens zehn Mal größeren strukturlosen (»elliptischen«) Galaxie erwartet – nicht in einer kleinen Scheibengalaxie wie NGC 1277.

Ist das überraschend massereiche Schwarze Loch eine seltene Laune der Natur – eine absolute Ausnahme? Vorläufige Analysen weiterer Daten weisen in eine andere Richtung: Bis dato hat die Suche von van den Bosch und seinen Kollegen noch fünf weitere Galaxien zu Tage gefördert, die vergleichsweise klein sind, aber dennoch ungewöhnlich massereiche zentrale Schwarze Löcher beherbergen dürften. Definitiv wird sich dies aber erst sagen lassen, wenn detaillierte Abbildungen dieser Galaxien vorliegen.

Bestätigen sich diese weiteren Fälle und gibt es in der Tat noch mehr Schwarze Löcher wie das von NGC 1277, dann müssen die Astronomen ihre Modelle der Galaxienentwicklung grundlegend überdenken. Insbesondere müssen sie dabei das frühe Universum ins Auge fassen: Die Galaxie NGC 1277 hat sich anscheinend vor mehr als 8 Milliarden Jahren gebildet und seither nicht sehr verändert. Wie immer dieses gigantische Schwarze Loch entstanden ist – es muss vor langer Zeit passiert sein.

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Hintegrundinformationen

Die hier beschriebenen Ergebnisse werden als van den Bosch et al. »An over-massive black hole in the compact lenticular galaxy NGC 1277« in der Ausgabe vom 29. November der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

  • Zugriff auf den Original-Artikel vor Ablauf der Sperrfrist über Nature (press@nature.com)

Die Autoren des Artikels sind Remco C. E. van den Bosch (Max-Planck-Institut für Astronomie; MPIA), Karl Gebhardt (University of Texas at Austin), Kayhan Gültekin (University of Michigan, Ann Arbor), Glenn van de Ven, Arjen van der Wel (beide MPIA) und Jonelle L. Walsh (University of Texas at Austin).

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Fragen und Antworten

Was sind die Hintergründe der hier beschriebenen Studie?
Die allgemein akzeptierte Beziehung zwischen der Masse einer Galaxie und der ihres zentralen Schwarzen Lochs ist nur unvollständig verstanden – mindestens drei komplett verschiedene Erklärungsmodelle sind im Umlauf. Einer der Gründe dafür, dass wir nichts Näheres wissen, ist, dass es weniger als hundert Datenpunkte gibt: weniger hundert Fälle, in denen sowohl die Masse der Galaxie als auch die ihres zentralen Schwarzen Lochs gemessen werden konnte.

Eine gute Möglichkeit, eine Beziehung auf die Probe zu stellen, besteht darin, Extremfälle zu betrachten. Für die Korrelation der Schwarzloch- und Galaxienmassen war bislang sehr wenig über die größten Massenwerte bekannt. Aus diesem Grunde begann Remco van den Bosch 2010 eine systematische Suche nach den massereichsten Schwarzen Löchern im Universum. Für dermaßen massereiche Schwarze Löcher sollte es möglich sein, die Bewegung ihrer Sterne bis hinaus zu Entfernungen von Hunderten von Millionen von Lichtjahren zu vermessen und so die Masse des Schwarzen Lochs abzuschätzen.

Im ersten Teil der systematischen Suche kam das Hobby-Eberly-Teleskop am McDonald-Observatorium in Texas zum Einsatz. Dieses Teleskop hat einen besonders großen Hauptspiegel mit einer Gesamtfläche von 11 mal 9,8 Metern, der aus 91 sechseckigen Teilspiegeln besteht. Dank seiner Größe ist dieses Teleskop für eine Suche wie die von van den Bosch und Kollegen besonders geeignet, da sich die Beobachtung jeder einzelnen Galaxie vergleichsweise schnell durchführen lässt. Van den Bosch benutzte es, um Spektren von fast 700 nahen Galaxien aufzunehmen.

Das hier geschilderte Ergebnis ist eines der ersten der systematischen Suche; weitere Ergebnisse werden veröffentlicht, sobald genauere Folgebeobachtungen und Modellierungen der Schwarzlochmassen für weitere Galaxien durchgeführt wurden.

Bereits aus den mit dem Hobby-Eberly-Teleskop gewonnenen Spektren konnten van den Bosch und Kollegen eine erste Schätzung der Schwarzlochmasse vornehmen, für die sie einen wohlbekannten Zusammenhang zwischen der Masse des Schwarzen Lochs und der Breite bestimmter Spektrallinien nutzten (die Breite dient dabei als Zeichen der »Geschwindigkeitsdispersion«, grob gesprochen der typischen Abweichung der Sterngeschwindigkeiten vom Durchschnittswert). Das lieferte sechs Kandidatengalaxien, die vergleichsweise klein waren und große Schwarze Löcher besaßen. Für eine davon, NGC 1277, waren im Archiv des Weltraumteleskops Hubble bereits hochaufgelöste Bilder vorhanden; für die anderen fünf waren Folgebeobachtungen mit geeigneten Großteleskopen nötig.


Wie wurde die Masse des Schwarzen Lochs gemessen?
Um die Masse des zentralen Schwarzen Lochs zu messen, müssen Astronomen die Bewegungen der Sterne im Zentrum der Galaxie verfolgen – jene Sterne, deren Umlaufbahnen direkt von der Schwerkraft des Schwarzen Lochs beeinflusst werden. Je größer die Masse des Schwarzen Lochs, umso größer sein Einfluss auf die Geschwindigkeiten der nahen Sterne.

Schlüsseleigenschaften der Sternbewegung können aus dem Spektrum des Lichts herausgelesen werden, das die Zentralregionen der Galaxie aussenden. Bewegungen erzeugen dort ganz spezifische systematische Veränderungen (»Dopplerverschiebungen von Spektrallinien«), die im Spektrum nachgewiesen werden können und es den Astronomen erlauben, Rückschlüsse auf die Sternbewegung zu ziehen.

Die Geschwindigkeiten werden von der Verteilung der Masse innerhalb der Galaxie beeinflusst. Je massereicher das Schwarze Loch, desto schneller die Bewegung der Sterne im Zentrum der Galaxie. Die Zentren entfernter Galaxien sind zu dicht und zu weit entfernt, als dass Astronomen dort einzelne Sterne unterscheiden könnten; was sie anhand der Spektrallinien allerdings messen können, ist die Verteilung der Geschwindigkeiten (wo ist der Mittelwert? Wie groß sind typische Abweichungen?) in den Zentralbereichen.

Um die Masse des Schwarzen Lochs zu bestimmen, erstellten van den Bosch und seine Kollegen ein dynamisches Modell der betreffenden Galaxie, das alle möglichen Sternumlaufbahnen einschließt. Systematische Vergleiche von Modell und Beobachtungsdaten zeigen dann, welche Umlaufbahnen in Kombination mit welchem Massenwert für das Schwarze Loch die Beobachtungen am besten erklären. Im Falle von NGC 1277 fanden die Astronomen auf diese Weise eine Schwarzlochmasse von 17 ± 3 Milliarden Sonnenmassen – und das in einer Galaxie, die insgesamt nur die Masse von 120 Milliarden Sonnen hat.

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Over-massive black hole in compact galaxy NGC1277 from Remco van den Bosch on Vimeo.

Video: NGC 1277 ist eine Scheibengalaxie, die eines der größten bislang bekannten Schwarzen Löcher enthält. Dieses Schwarze Loch besitzt 17 Milliarden Sonnenmassen und ist damit für beachtliche 14% der Gesamtmasse der Galaxie verantwortlich. Die meisten Sterne in dieser Galaxie werden durch die Schwereanziehung des Schwarzen Lochs deutlich beeinflusst. Die Entdeckung dieses Schwarzen Lochs durch van den Bosch et al. ist in der Ausgabe vom 29. November 2012 der Fachzeitschrift Nature beschrieben.

Die Animation zeigt repräsentative Sternumlaufbahnen aus dem dynamischen Modell, das herangezogen wurde, um die Masse des Schwarzen Lochs zu bestimmen. Die grüne Umlaufbahn ist die eines Sterns in der galaktischen Scheibe. Die rote Umlaufbahn zeigt die starke Gravitationswirkung in unmittelbarer Nähe des Schwarzen Lochs. Die blaue Umlaufbahn wird merklich durch den (kugelähnlichen) Halo aus Dunkler Materie beeinflusst, den die Galaxie besitzt. Eine Sekunde in der Animation entspricht 22 Millionen Jahren; die horizontale Ausdehnung des Bildes erstreckt sich über 41 Millionen Lichtjahren (36 Bogensekunden).

Diese Animation wurde durch Remco van den Bosch hergestellt und ist unter einer Creative Commons-Lizenz freigegeben.

Bildnachweis für das Hintergrundbild:
NASA / ESA / Fabian / Remco C. E. van den Bosch (MPIA)

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